Machen Süßstoffe etwa dick? | EAT SMARTER

Machen Süßstoffe etwa dick?

Von EAT SMARTER

Süßstoffe als Zuckerersatz Süßstoffe als Zuckerersatz

Süßstoffe sind krachsüß und haben wenig oder gar keine Kalorien. Ob sie dick machen, ist fraglich. Ob sie beim Abnehmen helfen, wird heiß diskutiert. Wissenschaftler streiten sich seit Jahren um die richtige Antwort.

Susan Swithers ist fest überzeugt davon, dass Süßstoffe den Körper täuschen. Die Dozentin für Psychologie an der Purdue Universität in Indiana sagt: "Unser Körper lernt aus dem Geschmack und der Textur von Lebensmitteln wie viele Kalorien ein Lebensmittel enthält. In einer Welt ohne Süßstoffe ist dieses Verhältnis sehr beständig. Der Körper nutzt es, um sein Gewicht zu halten. Wenn man aber künstliche Süßstoffe verwendet, dann stört man diese Beziehung". Die Psychologin hat mit Ihrem Chef Terry Davidson diverse Untersuchungen mit Ratten durchgeführt. In einem der Experimente durften zehn Ratten Naturjoghurt und Joghurt mit Saccharin fressen, eine andere Gruppe bekam abwechselnd Naturjoghurt und Joghurt mit Zucker. Nach fünf Wochen hatten alle 27 Ratten zugenommen, die Süßstoffgruppe allerdings mehr. Außerdem war sie schlechter in der Lage, energiereiche Schokomahlzeiten durch Nahrungseinschränkung wieder auszugleichen. Die Studie löst seit Frühjahr 2008 wieder einmal heftige Diskussionen aus. Ernährungsberater raten seitdem öffentlich von Süßstoff ab. Wissenschaftler aus Lübeck und Göttingen unterstützen dies mit den Ergebnissen ihrer Versuche. Allerdings: Die neueste Diskussion bezieht sich meist auf Tier-Experimente. Dabei kennt die Forschung seit langem Versuche mit Menschen. Vorab die Grundlagen der Diskussion: Süßstoffe sind 30- bis 3000mal süßer als Haushaltszucker, sie enthalten aber praktisch keine Energie. Das unterscheidet sie auch von Zuckeraustauschstoffen wie Sorbit, Isomalt oder Fruchtzucker. Die haben eine ähnliche Süßkraft wie Zucker und gleich viele oder etwas weniger Kalorien, werden aber im Körper anders verarbeitet als Zucker. Acht verschiedene Süßstoffe dürfen derzeit in Europa eingesetzt werden. Dazu gehören synthetische Stoffe wie Saccharin, Cyclamat, aber auch Stoffe mit natürlichem Ursprung wie das Thaumatin oder Neohesperidin DC. Die US-Forscher Swithers und Davidson meinen, Menschen würden nach jedem Stück Schokolade automatisch etwas weniger essen, um den Kalorienüberschuss bei der nächsten Mahlzeit wieder auszugleichen – vorausgesetzt ihr Geschmackssinn ist nicht durch Süßstoffe verwirrt. Die beiden Wissenschaftler vermuten, dass das Gehirn durch den Süßstoff falsche Signale bekommt. Ähnliches glaubt auch Medizin-Professor Achim Peters von der Uni Klinik Lübeck. Er beruft sich auf französische Studien, die vor kurzem veröffentlicht wurden. Dabei wurden Ratten mal mit Süßstoff-Drinks und mal mit Kokain angereichertem Wasser für bestimmtes Verhalten belohnt. Ergebnis: Fast alle Tiere entschieden sich für den Süßstoff. "Süßperzeptionen führen im Gehirn zu lang andauernden Veränderungen. Süßstoff verändert somit die Energieanfrage des Gehirns", erläutert Professor Peters. Es werde eine Verhaltensstrategie fest verankert und bleibe womöglich ein Leben lang bestehen. Fazit: Wer sich in Stress-Situationen mit Süßstoff belohnt, um negative Gefühle zu lindern, verwirrt das "selfish brain". Ihm wird weisgemacht, dass dies nötig sei, um die Energieversorgung sicherzustellen. Wird dies ungünstige Essverhalten beibehalten und etabliert, kann dies in Fettsucht enden. Schließlich liefern auch süßstoffsüße Lebensmittel Kalorien. Dagegen hat 1995 der Biochemiker Jochen Steiniger mit drei anderen Wissenschaftlern an 20 Patientinnen eine Blind-Studie mit Menschen durchgeführt, die später vom Ernährungspsychologischen Institut der Uni Göttingen bestätigt wurde. Dabei bekamen Teilnehmerinnen 24 Tage lang eine Reduktionsdiät, eine Gruppe mit, eine ohne Süßstoff. Sie wussten nicht zu welcher Versuchgruppe sie gehörten, denn Geschmack, Energiegehalt, Eiweiß- und Kohlenhydratgehalt der Mahlzeiten waren identisch. Die Forscher gaben sich alle erdenkliche Mühe, Unterschiede zu messen: Sie untersuchten Blutglucose- und Insulinspiegel, das Hungergefühl, Grundumsatz und Wärmeentwicklung. Fazit: Beide Versuchsgruppen nahmen gleichermaßen ab. Die Süßstoffe lösten weder Hungergefühle aus, noch hatten sie Auswirkungen auf den Glukose- oder Insulinspiegel. Bleibt also noch die Frage, ob Süßstoffe beim Abnehmen helfen. "Rein rechnerisch ließen sich allein durch das Süßen von Kaffee oder Tee mit Süßstoff anstatt Zucker pro Jahr 23.360 Kilokalorien einsparen, was einer Fettgewebsmasse von 3 Kilogramm entspräche", schreibt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. Ob das in der Praxis funktioniert, ist fraglich. Denn es handelt sich eben um Menschen. "Menschen wissen, dass sie Süßstoff gegessen und Kalorien eingespart haben. Das ist im Unterbewusstsein gespeichert", sagt Prof. Andreas Pfeiffer, Leiter Klinische Ernährung DifE (Deutsches Institut für Ernährungsforschung) in Bonn. Möglicherweise ist es also nicht der Süßstoff selbst, der dick macht, sondern die Begleitumstände, unter denen Verbraucher zu den kalorienfreien Süßmachern greifen. Das bestätigt auch eine Studie aus dem Sommer 2007, die von der American Heart Association veröffentlicht wurde. Dies war eine Langzeituntersuchung an über 6000 Personen, die mehr als einen Softdrink täglich trinken – egal ob mit Zucker oder Süßstoff gesüßt. Alle hatten ähnliche hohe Risikofaktoren für Herzkrankheiten. "Der Schlüssel ist eine Mäßigung in allen Dingen", sagte Ravi Dhingra, Erstautor der Studie und Dozent an der Harvard Medical School. Für diese Empfehlung hätte es allerdings wirklich keine wissenschaftlichen Studien gebraucht, denn die Mäßigung galt schon bei den alten Griechen als eine der vier Kardinaltugenden.