Trauma Schulsport? So kommt die Lust an der Bewegung zurück! | EAT SMARTER

Trauma Schulsport? So kommt die Lust an der Bewegung zurück!

Von Prof. Dr. Ingo Froböse

Bock und Sprungbrett in einer leeren Turnhalle

„Der Schulsport macht aus aktiven Kindern Sport-Phobiker“ – Professor Ingo Froböse fordert ein Umdenken beim Sportunterricht. Im Interview mit EAT SMARTER-Redakteurin Lina Nagel erklärt er, warum Bewegungsunterricht in der Schule immer wichtiger wird und wie man als Erwachsener sein Bundesjugendspiel-Trauma überwindet.

EAT SMARTER: Herr Professor Froböse, eine Umfrage in meinem Freundeskreis (allesamt nicht unsportlich) hat ergeben, dass die meisten den Sportunterricht in der Schule furchtbar fanden. Der Grund: Sie hatten keine Lust auf die klassischen Sportarten wie Fußball, Basketball oder Volleyball. Sollte man den Lehrplan ändern?

Professor Ingo Froböse: Ohne Frage. Noch immer wird im Sportunterricht an alten, tradierten Sportarten festgehalten. Dabei haben sich die Bedürfnisse an den Unterricht komplett geändert! Ich bin der Auffassung, dass Kinder und Jugendliche in Sport eher Kompetenzen als einzelne Techniken lernen sollten: Im Team spielen, fair sein, sich absprechen, auf Schwächere eingehen, aber auch Niederlagen einstecken, ohne frustriert zu sein. All das kann und soll guter Sportunterricht leisten! Auch fehlt es vielen Kindern heute leider an grundlegenden motorischen Fähigkeiten. Bevor man sie mit technischen Finessen wie dem Korbleger beim Basketball quält, müssen erst einmal Bewegungskompetenz vermittelt werden.

ES: Sportunterricht erzieht Sportmuffel, heißt es. Teilen Sie diese Auffassung?

IF: Leider ja. Das liegt an den bereits beschriebenen Problemen, aber auch daran, dass die Wertschätzung des Sports in vielen Schulen unterrepräsentiert ist. Da wird die Sportstunde ganz ans Ende eines langen Schultages geschoben – logisch, dass die Kinder dann müde sind! Oder der Unterricht fällt gleich ganz aus.

Ein weiteres Problem ist, dass sich der Sportunterricht immer noch zu stark an den Vereinen orientiert und dass man vielerorts der Meinung ist, Schulsport soll im Verein münden. Das ist Quatsch! Schauen Sie sich doch einmal in Ihrem Freundeskreis um: Wer betreibt, von einzelnen Leistungssportlern abgesehen, noch klassische Vereinssportarten?

Der Trend geht hin zu sogenannten Lifetime-Sportarten wie Laufen, Radfahren, Yoga, Tanz oder klassischer Fitness. Diese Sportarten fehlen bis zur Oberstufe leider meist komplett, obwohl viele als unsportlich wahrgenommene Schüler an ihnen Freude haben.

ES: Wie traumatisch kann Sportunterricht auf Menschen wirken?

Sportlehrer mit einer Stoppuhr in der HandIF: In jedem Menschen steckt ein Schatz, der entdeckt werden möchte – auch in Kindern, die nicht dem klassischen Verständnis von sportlich entsprechen. Hier erfolgt in der Schule leider eine starke Stigmatisierung: Wer sich zum Beispiel im Fußball oder Volleyball hervortut, gilt als sportlich. Wer eher schwächer ist, der sitzt halt bis zuletzt auf der Bank, wenn die „Anführer“ ihre Gruppen wählen. Sport ist grausam. Kinder können grausam sein. Hier ist die Lehrkraft gefragt, die auf die individuellen Talente der Kinder eingeht und die Gruppe dennoch zusammenhält. Kinder müssen lernen, sowohl mit den Starken als auch mit den Schwachen in einer Gruppe sowohl klarzukommen als auch erfolgreich zu agieren.

ES: Sehen Sie den falschen Sportunterricht als Grund dafür, dass viele Erwachsene sich als unsportlich bezeichnen und Sport ablehnen?

IF: Ja, zumindest teilweise. Natürlich spielen auch andere Faktoren eine Rolle. Jeder Mensch wird mit dem Bewegungsvirus geboren und möchte seine Umgebung aktiv erkunden. Dieser Bewegungsdrang wird vielen Kindern leider nach und nach abtrainiert. Das beginnt in der Familie, wenn Eltern den Spaß an der Bewegung nicht vorleben und das Kind eventuell sogar vor dem Fernseher oder der Spielkonsole „parken“. Unsere Städte werden immer mehr zugebaut, sodass Bewegungsräume wie Wiesen oder Bolzplätze wegfallen.

Wenn dann der Sportunterricht in der Schule noch negative Reize setzt, dann schwindet oft jegliche Motivation, sich zu bewegen.

ES: Wie sieht für Sie die ideale Sportstunde aus?

IF: Die ideale Sportstunde ist differenziert und individualisiert. Sie orientiert sich sowohl am Alter als auch an den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen. Je nachdem, wie alt die Kinder sind, sollten verschiedene Lernziele im Vordergrund stehen. So wird im Alter von 6 bis 10 Jahren der Grundstein für die koordinativen Fähigkeiten gelegt. Ballspiele eignen sich dafür zum Beispiel sehr gut. Mit anderen Sportarten sollte man dagegen erst mit 12 bis 14 Jahren beginne und sich jeweils das Schönste herauspicken.

Wichtiger als die Sportart ist dabei die Kompetenz, die sie vermitteln soll: Sport ist ein soziales Element! Sport gibt Sicherheit und Vertrauen, lässt Kinder Siege und Niederlagen erleben. Es geht um Fairness und Respekt, aber auch um den Biss, eine Leistung zu erbringen. Im idealen Sportunterricht lernen Schüler viel über ihre Ressourcen. Dazu gehört auch, mit den eigenen Emotionen umzugehen, zum Beispiel, wenn die Mannschaft verloren hat.

ES: Heute haben Lehrer mit ganz anderen Herausforderungen zu kämpfen als noch vor 20 Jahren: 43 Prozent aller Schüler kommen zum Beispiel bei der Vorbeuge nicht mit den Fingerspitzen auf den Boden...

IF: Ein wichtiger Punkt. Bis vor zehn Jahren gab es noch eine Professur für Sportförderunterricht, die jedoch gestrichen wurde. Dabei wird es immer wichtiger, Defizite schon im Kindesalter aufzufangen, damit jeder Mensch die Chance hat, lebenslang fit und gesund zu bleiben. Gesundheits- und Bewegungskompetenz zu vermitteln sollte meiner Meinung nach im Lehrplan einen höheren Stellenwert bekommen.

In den Grundschulen gilt das Klassenlehrerprinzip, das heißt, es gibt keine speziellen Fachlehrer. Wie Sie sich vorstellen können, hat nicht jeder Lehrer – eventuell durch eigene traumatische Erlebnisse im Sportunterricht – in Sachen Sport den richtigen Drive. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass viele Lehrer, die Sport unterrichten, richtige Bewegungslegastheniker sind. Das ist nicht besonders förderlich. Denken Sie mal an Ihre Schulzeit zurück: Wenn der Lehrer selbst aktiv mitgemacht und Spaß an der Bewegung vermittelt hat, war das viel motivierender, als wenn er am Rand stand.

ES: Oft hört man von Jugendlichen und Erwachsenen ein frustriertes „Ich bin halt unsportlich“. Wie können sie ihr Sport-Trauma überwinden?

Professor Ingo Froböse auf dem SportplatzIF: Mein Rat lautet: Beginnen Sie mit ganz kleinen Schritten und überfordern Sie sich nicht! Wählen Sie eine Sportart, die Ihren koordinativen Fähigkeiten entspricht. Wer sich zehn Jahre nicht bewegt hat, schnappt sich erst einmal das Fahrrad oder Walking-Schuhe, bevor er technisch anspruchsvollere Aktivitäten angeht. Darauf bauen Sie langsam auf: Setzen Sie sich kleine, realistische Ziele.

Ganz wichtig: Verabschieden Sie sich vom Leistungsgedanken! Anders als damals bei den Bundesjugendspielen geht es nicht darum, dass Sie besonders gut sind – sondern dass Sie selber Spaß haben und gesünder und fitter werden!

Erfahrungsgemäß kommen Einsteiger nach einem Motivationshoch von sechs bis acht Wochen in ein erstes Tief. Mit einer Belohnung zur richtigen Zeit, zum Beispiel schönen neuen Sportschuhen oder einem Wellness-Tag, fangen Sie dieses schlechte Gefühl auf.

Wer sich auf diese Weise wieder an die Bewegung herantastet, findet mit Sicherheit eine Aktivität, die ihm gut tut und Spaß macht – auch wenn dieser früher in der Schule vielleicht nicht als Sport durchgegangen wäre.