Achtung, Besseresser! | EAT SMARTER

Achtung, Besseresser!

Von EAT SMARTER

Die Besseresser

Sich bewusst und gesund zu ernähren ist wichtig. Doch einige übertreiben es mit dem Ernährungshype. Ist Essen ein neues Statussymbol? Und müssen nun alle ein schlechtes Gewissen haben, die sich ab und zu mal Kuchen gönnen?

Ich habe kürzlich eine Dame kennengelernt, die keinen Zucker isst. Nie. Und kein Brot. Und immer frisch kocht. Und regional einkauft. Saisonal sowieso. Fleisch? Gibt’s nur selten, und dann nur in Top-Qualität. Aber vielleicht, das überlegt sie gerade, isst sie auch bald ganz vegetarisch. Sie trinkt nur fettarme Milch und streicht Öl dünn mit einem Pinsel in die Pfanne. Ich habe mir das alles angehört und dachte: Sie macht vieles richtig, achtet auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung. So soll’s sein! 

Doch irgendwann, als sie gar nicht mehr aufhören wollte mir zu erzählen, wie sie das alles so macht und warum das so toll ist und wie gut sie sich dabei fühlt, fing es an, mich zu nerven. Ich war irritiert – immerhin ist es ja mein Job, Menschen ein Bewusstsein für eine gesunde Ernährung näherzubringen. Und offenbar saß mir hier ein Paradebeispiel gegenüber. Aber: Sie wirkte einfach wahnsinnig verkrampft. 

Ernährung als Statussymbol

Und genau das ist in meinen Augen immer häufiger das Problem. Viele von uns sind heute geradezu fixiert darauf, sich „richtig“ und gesund zu ernähren und definieren sich zusehends über das, was sie essen. Ernährung wird mehr und mehr zum Statussymbol. Wer sich auskennt, an die Regeln hält, Bio-Eier isst, der gehört zur „guten Gesellschaft“. Einzig: Viele der neuen Besseresser merken nicht, dass sie es ein wenig übertreiben, dass es  für sie kein anderes Thema mehr gibt. Stets geht es darum, was man isst – und noch mehr darum, was man eben nicht isst. In ganz extremen Fällen gibt es dafür sogar einen medizinischen Fachbegriff. Orthorexia nervosa – der Zwang, sich gesund ernähren zu müssen. 

Bei der neuen Begeisterung für gesunde Ernährung bleibt aber oft eines auf der Strecke: der Genuss. Ist es nicht absolut okay, ab und an ein Glas Wein zu trinken (auch wenn Zucker drinsteckt) oder ein Stück Kuchen zu essen (noch mehr Zucker!)? Einzig: Wenn das schlechte Gewissen immer mitisst, macht das natürlich keinen Spaß. Und so beschleicht mich langsam das Gefühl, dass diese Ernährungs-Gutmenschen nicht deshalb so viel über sich und ihr Essen sprechen, weil sie andere inspirieren (oder böse gesagt: missionieren) wollen – sondern um sich diese strenge und starre Ernährungswelt ein bisschen schönzureden. 

Auf der Suche nach dem gesunden Mittelweg

Das Ganze kann man übrigens auch beim Thema Sport beobachten – man muss sich nur mal auf Instagram umschauen, da gibt es unzählige Accounts fitnessbegeisterter Männer und Frauen. Fitnessfanatisch würde ich es allerdings eher nennen, wenn schon 16jährige sieben Mal pro Woche ins Fitnessstudio rennen anstatt auch einmal auf eine Party zu gehen. 

Nun kann man sagen, dass das ja irgendwie auch eine gute Entwicklung ist, da ja auch immer noch zu viele Leute überhaupt gar keinen Wert auf ihre Ernährung legen. Das ist dann das andere Extrem. Kurzum: Ich fürchte, einige rücken mehr und mehr vom gesunden Mittelweg ab. Und rechtfertigen das mit dem Deckmantel der „Gesundheit“.  

Aber vielleicht sehe ich das auch zu streng? Deshalb interessiert mich Ihre Meinung: Haben Sie Erfahrungen mit Besseressern? Gehören Sie vielleicht selbst dazu? Und was meinen sie: Wie gesund ist noch gesund – und ab wann wird es zuviel?

Nicole Benke