Wie Sie sich finden, indem Sie sich verlieren | EAT SMARTER

Wie Sie sich finden, indem Sie sich verlieren

Von Uwe Pettenberg

Wie Sie sich selbst finden

Haben Sie schon einmal versucht, etwas zu verlieren? Und je größer der Wunsch war, dieses Etwas zu verlieren, umso schwieriger wurde es? Wenn Sie sich nicht bemühen, (etwas) zu verlieren, kann es geschehen. Wir verlieren (uns) erst, wenn wir uns dessen gar nicht bewusst sind. Und wenn uns das gelingt, dass wir uns vollkommen verlieren und an den Moment hingeben, dann können wir uns finden.

Wer sucht, findet nicht

Damit keine Missverständnisse entstehen, ich spreche hier nicht über ein Verlieren im Sinne von nicht mehr wissen, wer man eigentlich ist, über das Verloren sein im Außen. Ich meine das Gegenteil. Ich spreche über das sich Verlieren im Jetzt, in meinem Dasein, in meinem So sein, in mir. Wie gesagt, danach suchen wird nicht funktionieren. Es handelt sich hier mehr um das Geschehen lassen.

Als ich noch ein kleiner Junge war, trennten sich meine Eltern. Fortan wuchs ich alleine bei meiner Mutter auf und musste schneller erwachsen werden und „meinen Mann stehen“ als mir lieb war. Das hat mich natürlich in jeder Hinsicht geprägt. Beruflich habe ich mich in meiner ersten Laufbahn an meinem Vater orientiert und habe ihm unbewusst nachgeeifert, um seine Anerkennung und auch endlich seine Aufmerksamkeit zu bekommen. In meinen Beziehungen war ich ständig als der "Retter" unterwegs und nur damit beschäftigt, den Frauen zu geben, was sie scheinbar brauchten – denn so kannte ich das ja auch von klein auf – ohne mir je Gedanken darüber zu machen, was ich eigentlich brauchte, geschweige denn, dass ich je überlegte hatte, ob dieser Beruf auch meine Berufung war. Nach außen war ich immer der Strahlemann und der Macher, immer unterwegs, immer unterhaltsam, stets gut gelaunt, stets smart gekleidet, niemand wäre auf die Idee gekommen, dass es in meinem Innersten oft finster und traurig aussah. Mich nicht zu verlieren, war überlebensnotwendig, ich hätte keinen Halt in mir gefunden.

Das ging so lange gut, bis eines Tages mein Körper nicht mehr mitspielte. Heute würde man meine Befindlichkeit wahrscheinlich als einen Burnout bezeichnen. Damals fürchtete ich depressiv zu werden. In jedem Fall war klar, so kann es nicht weiter gehen, und so begann ich ganz langsam mich zu verlieren, um mich endlich selbst zu finden.

Wer bin ich, und wenn ja wie viele?

Eine der ersten erstaunlichen Entdeckungen, die ich machte, war die, dass meine Persönlichkeit – dass jede Persönlichkeit – sehr vielschichtig ist. Und ich begann herauszufinden, welche meiner Persönlichkeitsfacetten mich weiterbrachten und welche mich eher behinderten. Während es in jedem von uns Anteile gibt, die uns offensichtlich blockieren, z.B. "Ich bin nicht intelligent", gibt es auch jene, die auf den ersten Blick positiv scheinen, tatsächlich aber massiv gegen uns arbeiten, z.B. "Ich muss alles gut machen". Ich hatte in meiner ersten Karriere als Chef einer Werbeagentur herausgefunden, dass ich gerne mit Menschen arbeite, und dass ich das gut mache. Also begann ich mich in diese Richtung zu informieren und weiterzubilden. Wollte ich eines Tages andere Menschen bei ihrer Selbsterfahrung begleiten, musste ich mich erst einmal selbst erfahren. Und so machte ich die Erfahrung des mich Verlierens in meinen eigenen Themen und im systemischen Arbeiten. Ich denke, ich muss nicht erwähnen, dass ich jede Menge gefunden habe.

Weiter fand ich heraus, dass ich mich ein Leben lang von den Ansichten und Meinungen meiner Mitmenschen hatte einengen lassen. Natürlich bekam ich immer auch viel Feedback, das mir half, mich weiterzuentwickeln, aber genauso oft bekam ich vorgefasste Meinungen zu hören, die mich überhaupt nicht weiter brachten und dringend überdacht werden mussten. Ich lernte, meinem Gefühl zu vertrauen, ich lernte mir selbst zu vertrauen, unabhängig von den Ansichten anderer, und auch das ist eine Form des sich Verlierens. Wenn wir ganz im Vertrauen sind, verlieren wir uns in uns selbst, wir verlieren uns in allem, was ist – und sind dadurch wiederum verbunden mit allem was ist. Das ist der stärkste Halt, den wir finden können.

Sich verlieren, um sich zu verändern

Auch ist es so, dass sich unsere Persönlichkeit verändert, wenn wir uns gestatten, uns zu verlieren. Nur weil Sie immer als "die Person, die ..." gesehen wurden, solange Sie denken können, heißt das nicht, dass Sie bis an Ihr Lebensende diese Person sein müssen – und vielleicht waren Sie sie ja auch nie. Wer wollen Sie sein? Was fühlt sich genau jetzt richtig und leicht an? Wer könnten Sie sein, wenn Sie zu dem werden, der Sie tatsächlich sind – und schon immer waren?

Wenn Sie sich erlauben, sich zu verlieren, erlauben Sie sich, sich zu verändern. Und mit jeder Veränderung werden Sie wachsen. Wenn Sie sich dessen bewusst sind, kann Ihnen das helfen, mit den Ängsten klar zu kommen, die immer auftauchen, wenn wir Neuland betreten. Seien Sie deshalb stets liebevoll und wertschätzend mit sich selbst.

Von Maya Angelou gibt es das Zitat "Es gibt kein größeres Leid als eine nicht erzählte Geschichte in Deinem Inneren." Möchten Sie eines Tages mit Reue und Bedauern auf Ihr Leben zurückblicken? Wenn nicht, seien Sie aufrichtig mit sich selbst. Hören Sie auf Ihre Gefühle und Ihre Intuition. Verlieren Sie sich in Ihrem Vertrauen in sich selbst und Sie werden sich in einem erfüllten Leben wiederfinden.

Herzlichst,

Ihr Uwe Pettenberg