Fliegen im Gourmetmenü? Vorschau auf den Ento-Trend | EAT SMARTER

Fliegen im Gourmetmenü? Vorschau auf den Ento-Trend

Von EAT SMARTER

Ento-Trend: Heuschrecken gehören dazu. © bajita111122 – Fotolia.com Ento-Trend: Heuschrecken gehören dazu. © bajita111122 – Fotolia.com

Wenn Insekten auf dem Teller landen – und zwar als Speise –, liegt dies am sogenannten Ento-Trend. Trendforscherin Hanni Rützler erklärt, was es damit auf sich hat.

Dass Food-Trendforschung kein bloßer Schreibtisch-Job ist, darum werde ich oft beneidet. Schließlich gehört der regelmäßige Besuch von – überwiegend guten – Restaurants in aller Welt auch zur Job-Description. Manchmal aber werde ich dafür auch bemitleidet. So wie vor kurzem, als ich im Freundeskreis von einem mehrgängigen Menü mit Insekten erzählt habe, das der junge österreichische Spitzenkoch Harald Irka in meinem Studio in Wien zubereitet hat. Auf der virtuellen Speisekarte standen – angeregt durch Christoph Thomann, der es sich mit seinen Mitstreitern im Verein „Speiseplan“ zur Aufgabe gemacht hat, Insekten als Lebensmittel zu etablieren – Heuschreckenpastete, Mehlwurmkrokant, Rindfleisch-Grille-Heimchen-Leibchen und einige andere Gerichte, deren Verzehr meine Freunde und Freundinnen eher mit den bekannten Ekel-Prüfungen im Dschungelcamp in Verbindung bringen.

Gleich vorweg gesagt: Mein Gaumen war beim Verkosten eher positiv überrascht. Die Ekel-Schranke errichtet vor allem der Kopf, das heißt, unsere Vorstellung davon, was man essen kann und mag und was nicht. Schließlich stehen Heuschrecken, Wachsraupen, Soldatenfliegen-Larven und anderes Krabbelgetier anderswo in dieser weiten Welt schon lange routinemäßig auf dem Speiseplan. Und auch, dass die Kopfschranke Schritt für Schritt überwunden werden kann, haben wir in den letzten Jahren immer wieder erlebt: Wie viele Menschen haben sich zum Beispiel noch vor 20 Jahren vor rohem Fisch geekelt? Und heute gibt es fast an jeder Straßenecke eine Sushi-Bar. In vielen Supermärkten sind die Bentō-Boxen mit rohen Meerenfrüchten längst zu einem beliebten Take Away geworden. Und schließlich sieht die in Deutschland kulinarisch sehr beliebte Nordseekrabbe nicht viel weniger „krabbelig“ aus als die gemeine Heuschrecke.

Darüber, ob der Genuss von Insekten bald auch in Europa zu einem durchschlagenden Food Trend wird, lässt sich natürlich streiten. Dagegen spricht vorerst nicht nur, dass ihre Präsenz auf unseren Tellern für viele noch gewöhnungsbedürftig wirkt, sondern vor allem die Tatsache, dass es für die Krabbeltiere, Larven und Puppen in Europa – mit Ausnahme von Belgien – noch keine gesetzliche Zulassung als menschliche Ernährung gibt. Und Gourmets wenden zu Recht ein, dass der Großteil der hierzulande zum Kochen verfügbaren Insekten das kulinarische Potential, das in dieser Tierart stecken könnte, nur vermuten lässt. Denn die momentan in Europa verfügbaren Mehlwürmer, Grillen und Heuschrecken werden primär zur Verarbeitung als Tierfutter gezüchtet, also nicht nach kulinarischen Kriterien für die Zucht ausgewählt. Weltreisende Food-Hunter berichten aber immer wieder auch von angenehmen sensorischen Überraschungen mit bei uns noch nicht bekannten Insekten und Zubereitungsarten; schließlich zählen die „Kerbtiere“ (wie Insekten von Entomologen auch genannt werden) zu der artenreichsten Klasse der Tiere.

Apropos Ento: Den Trend habe ich nach dem griechischen Wort für Insekten (éntomon) benannt, nach dem sich offiziell auch die Wissenschaft benennt, die sich mit Insekten beschäftigt. Es ist ein Wort, über dass Sie in Zukunft sicher öfter stolpern werden.

Dafür, dass wir uns schneller als gedacht an Insekten als Teil unserer Nahrung gewöhnen werden, sprechen nämlich zahlreiche ökologische, ökonomische, gesundheitliche und nicht zuletzt auch kulturelle Gründe: Die Zucht von Insekten ist ungleich nachhaltiger als jene von Schweinen, Rindern und Geflügel – und mit ihrem Konsum lässt sich unser Proteinbedarf besser decken als mit „traditionellem“ Fleisch. Viele Wissenschafter, die sich mit Problemen der Welternährung auseinander setzen, sind schon heute davon überzeugt, dass es „ohne“ in Zukunft gar nicht gehen wird. Und Menschen, die sich nur deshalb einer tierfreien Ernährung verschrieben haben, weil sie sich an der herrschenden Praxis der Massentierzucht von Säugetieren stoßen, lassen sich vermutlich von kulinarisch attraktiven Insekten-Speisen durchaus zum Konsum verführen. Ganz zu schweigen von jenen, die sich gerne als Genuss-Avantgardisten sehen und durch den demonstrativen Konsum von Mehlwurm-Quiche, Grashüpfer-Pralinen, Grillen-Spieß oder Soldatenfliegen-Schöberl in der Krabbensuppe von Otto-Normalesser unterscheiden wollen.

So oder so: Der kulinarische Aspekt ist gewiss der entscheidende Punkt, der dem Ento-Trend wirklich auf die Sprünge helfen könnte. Dafür braucht es aber nicht nur viele engagierte Vorkämpfer für die Insekten-Nahrung wie Christoph Thomann vom Verein Speiseplan (www.speiseplan.wien), sondern auch noch viele ambitionierte Spitzenköche wie Harald Irka, die das derzeit noch schlummernde kulinarische Potential der Krabbeltiere voll zur Entfaltung bringen und den Mehlwurm nicht nur – wie heute noch in der Spitzenküche üblich – zur exotischen Verzierung einsetzen.

Ihre Hanni Rützler