Essen ist Macht
Essen ist ein Bereich unseres Lebens, in dem die Kontrolle und Bestimmung bei uns selbst liegt. Es gibt immer mehr Menschen, die sich freiwillig rigiden Ernährungsformen unterwerfen. Was könnte die Ursache dafür sein?
Wir bestimmen unser Essverhalten
Jedes Kind lernt bereits in der Breiphase – also in seinem ersten Lebensjahr –, dass es die Mama gehörig in Stress versetzen kann, wenn es beim Füttern den Mund nicht aufmacht. Und jede Mutter kennt die Verzweiflung und Hilfslosigkeit, wenn das Baby einfach nicht essen möchte.
Essen ist ein Bereich unseres Lebens, über den die 100-prozentige Kontrolle und Bestimmung bei uns selbst liegt. ICH entscheide und bestimme ganz alleine, was ich mir in den Mund stecke. Ich entscheide, was ich esse, aber eben auch, was ich nicht esse. Ich habe die Macht Essen zu verweigern, wenn ich etwas nicht mag oder nicht möchte.
In vielen anderen Bereichen unseres Lebens haben wir keine vollkommene Kontrolle, können nicht selbst bestimmen, haben keine Macht. Wir müssen tun, was der Chef, die Lehrerin, die Eltern oder irgendwelche Regeln sagen. Wir müssen uns anpassen und Kompromisse finden. Wir müssen mitmachen, um mitzukommen, um den Job zu behalten oder um überhaupt erst einen zu finden. Egal, ob uns das gefällt oder nicht. Wir werden von den äußeren Umständen (und anderen Menschen) angetrieben zu Leistung, Schnelligkeit, Effektivität und einer möglichst guten Performance – in der Schule, im Beruf und oft auch im Privatleben.
Selbstbestimmung und Kontrolle? Fehlanzeige.
Gleichzeitig gibt es nun immer mehr Menschen, die sich freiwillig sehr rigiden Ernährungsformen unterwerfen. Kein Zucker, kein Fleisch, überhaupt keine tierischen Produkte, kein Gluten, keine Milch, nur Rohkost. Besteht hier unter Umständen ein Zusammenhang? Könnte es sein, dass manche Menschen den Kontrollverlust in weiten Teilen ihres Lebens mit einer deutlich nach außen dokumentierten (Über-)Kontrolle über ihr Essverhalten ausgleichen?
Ich weiß, dass dies eine provokante These ist. Natürlich wird jeder einzelne Vegetarier andere Gründe für seinen freiwilligen Fleischverzicht anführen. Nichtsdestotrotz wird er oder sie aber auch sagen, dass er/sie sich gut fühlt, wenn er in Gesellschaft verzichtet, während alle anderen gedankenlos ihre Schnitzel verdrücken. Vielleicht fühlt er/sie sich den anderen sogar ein bisschen überlegen.
Menschen essen nach selbst gewählten Regeln, dokumentieren damit ihre uneingeschränkte Kontrollfähigkeit nach außen und fühlen sich deshalb gut bzw. besser...Belegbar ist das sicher nicht, aber es ist ein interessanter Denkansatz.
Herzlichst,
Dr. Alexa Iwan
Dipl. Ökotrophologin
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