Der Zucker, der nicht dick macht
Diese Pflanze könnte dem Zucker Konkurrenz machen: "Stevia rebaudiana" ist süßer als Zucker und dabei kalorienfrei. In Europa wurde der Zuckerersatz lange Zeit kaum beachtet, nun aber besteht ein starkes Interesse an der Zulassung.
Als Umberto Leonetti seine Limonade zum ersten Mal mit dem Stevia-Extrakt süßte, stand die Polizei in seinem Büro. Das war 2007, als die Pflanze in seinem Heimatland als Zuckerersatz noch verboten war. Doch der Schweizer Getränke-Produzent stellte mehrere Anträge bei der Schweizer Gesundheitsbehörde, Ende 2008 bekam seine Firma "Stormsdrinks" eine provisorische Ausnahmegenehmigung. Seitdem schmecken seine Getränke süß – und dass, obwohl Leonetti weitgehend auf Zucker verzichtet.
Der Zuckerersatz aus Südamerika
Den Süßstoff für seine Getränke gewinnt Leonetti aus einer Pflanze aus Südamerika. „Stevia rebaudiana“ wächst im Grenzgebiet zwischen Brasilien und Paraguay. Die hier lebenden Indianer kennen die süßende Wirkung schon seit Jahrhunderten. Die Blätter der Pflanzen sind etwa 30-mal süßer als Rohrzucker. Extrahiert man das Stevosid aus den Blättern, ist es sogar 300-mal süßer. „Am Anfang hatten viele Leute Bedenken“, sagt Leonetti, „die Pflanze war ihnen vollkommen unbekannt.“ Doch das habe sich mittlerweile geändert. Nach eigenen Angaben verkauft sein Unternehmen im Jahr rund 300.000 Flaschen. Und Leonetti ist zuversichtlich, dass die Zahlen weiter steigen. Denn im Vergleich zum normalen Rohr- oder Rübenzucker hat Stevia einen Vorteil: Die Pflanze macht nicht dick. Der Süßstoff wird nahezu unverdaut wieder ausgeschieden. Aber auch gegenüber den gängigen Süßstoffen hat Stevia einen Vorteil: Während die meisten kalorienarmen Süßstoffe künstlich hergestellt werden, wird das Stevosid eben aus der Pflanze gewonnen.
In Europa interessierte Stevia lange Zeit kaum jemanden
Doch in Europa hat sich der Süßstoff noch nicht durchgesetzt. Das liegt vor allem daran, dass die Stevia-Süße nicht zugelassen ist. Leonetti darf seine Getränke bislang nur in der Schweiz verkaufen. Ansonsten fällt Stevia in Europa unter die Novel-Food-Verordnung aus dem Jahr 1997: Demnach müssen Hersteller, die Steviaprodukte als Lebensmittel zulassen, strenge Prüfverfahren über sich ergehen lassen. Und bislang konnte noch niemand diese Auflagen erfüllen. Auch in Deutschland darf Stevia derzeit nicht als Lebensmittel verkauft werden, man kann es höchstens als Badezusatz oder in Kosmetikartikeln bekommen. Abgesehen von der Schweiz hat nur Frankreich eine vorläufige Erlaubnis erteilt.
Die Pflanze hatte in Europa jahrelang ein schlechtes Image. Zu Beginn der 80ziger Jahre war sie in Verruf geraten. Eine Studie der Universität Illinois kam zu dem Ergebnis, dass ein Abbauprodukt des Inhaltsstoffes Steviosid potenziell Krebs auslösen könne. Diese Ergebnisse bestätigten Experimente aus dem Jahr 1968. In Südamerika war man damals zu dem Ergebnis gekommen, dass Stevosid bei weiblichen Ratten Unfruchtbarkeit auslösen könne.
Macht Stevia wirklich krank?
Befürworter der Stevia-Pflanze sehen andere Gründe für das bisherige Verbot. Einer, der prominentesten unter ihnen ist Jan Geun. Der Professor von der Universität im belgischen Leuwen vermutet, dass vor allem die starke Zuckerindustrie dahinter steckt. Immerhin werden in Europa rund 15 Millionen Tonnen Zucker produziert, rund 30 Prozent davon sind Haushaltszucker. Geun verweist auf andere Länder wie Japan oder Brasilien. Hier werde Stevia schon lange eingesetzt, ohne dass die Menschen häufiger krank werden. Seit Jahrzehnten versucht Jan Guen, die Verwendung der Pflanze in Europa genehmigen zu lassen. Bislang erfolglos. Die Zuckerindustrie dagegen wehrt sich gegen den Vorwurf des Lobbyismus. Ihrer Ansicht nach sei die Pflanze in Geschmack und Volumen nicht mit dem Zucker vergleichbar. In den USA sehen die Unternehmen das mittlerweile anders: 2007 meldete Coca Cola bereits 24 Patente auf Süßstoffe an, die auf Stevia basieren. Seit 2008 produziert die Firma Cargill Limonade mit Stevia-Süße. Mittlerweile liegt Stevia hier auch in den Supermarktregalen. In Frankreich wagt sich Danone vor: Im Mai kündigte das Unternehmen an, einen Joghurt mit dem Honigkraut auf den Markt bringen zu wollen. Immerhin: Anfang des Jahres bewertete die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) die Pflanze als unbedenklich. Eine Aufnahme von vier Milligramm pro Körpergewicht gefährde die Gesundheit nicht. Ein Mensch von 65 Kilogramm könnte auf diese Weise 80 Gramm Zucker durch Stevosid ersetzen.
Probleme bei der Dosierung
Auch wenn Stevia in Europa offiziell noch nicht zugelassen ist, gehen Experten davon aus, dass demnächst die Erlaubnis kommt. Die Erklärung der EFSA im April bewerten sie als entscheidenden Schritt. Im Internet gibt es bereits Rezepte für Kuchen oder Joghurts, die mit Stevia gesüßt werden. Vor einigen Monaten machte die „Brigitte“ den Test, sie versuchten den Zucker beim Backen durch Stevia zu ersetzen. Die Ergebnisse waren wenig überragend: Die meisten Kuchen waren zu süß. Und auch bei der Dosierung gab es Probleme. Aber es finden sich in vielen Foren auch zahlreiche positive Beispiele. Hobby-Köche berichten davon, wie gut es geklappt hat.
Könnte Stevia irgendwann einmal den Zucker ganz ersetzen? Der Schweizer Limonaden-Hersteller Umberto Lionetti jedenfalls geht nicht davon aus. „Aber Stevia könnte zu einer guten Alternative werden.“ Er hofft darauf, dass Stevia bald in ganz Europa zugelassen werde. Dann könne auch sein Geschäft mit der Pflanze beginnen.
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