Wissenschaftlich geprüft

Schwangerschaftsdiabetes erkennen und behandeln

Von Wenke Gürtler mit Expertenrat von Dr. med. Matthias Riedl
Aktualisiert am 22. Aug. 2022
© Unsplashed/ Alicia Petresc
© Unsplashed/ Alicia Petresc

Die Diagnose Schwangerschaftsdiabetes trifft werdende Mütter oft unvorbereitet, da sie gewöhnlich keine Beschwerden haben. Jetzt sind die Sorgen um das Ungeborene groß. Das ist aber nicht nötig: Eine ausgewogene Ernährung hilft, Blutzuckerschwankungen zu minimieren.

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Inhaltsverzeichnis

  1. Was ist Schwangerschaftsdiabetes?
  2. Warum ist Schwangerschaftsdiabetes gefährlich?
  3. Wer bekommt Schwangerschaftsdiabetes?
  4. Wie wird ein Schwangerschaftsdiabetes diagnostiziert?
  5. Was darf man bei Schwangerschaftsdiabetes essen?
  6. Kontrolliert zunehmen
  7. Jeder Schritt zählt
  8. Wann ist eine Insulintherapie nötig?
  9. Bitte Stillen
  10. Wissen zum Mitnehmen

 

In der Schwangerschaft ist der Körper im Ausnahmezustand. Bei 5 von 100 Frauen gerät der Zuckerstoffwechsel aus den Fugen. Unbehandelt oder nicht richtig eingestellt kann das ernste Folgen für die Gesund­heit von Mutter und Kind haben. Eine geeignete Therapie ist deshalb wichtig. Lesen Sie mehr über Ursachen, Komplikationen, Zuckertest und Ernährung bei Schwangerschaftsdiabetes.

Was ist Schwangerschaftsdiabetes?

Beim Schwangerschaftsdiabetes, auch Gestationsdiabetes mellitus (GDM) genannt, gelangt nicht mehr ausreichend Glukose aus dem Blut in die Körperzellen, sodass die Blutzuckerwerte vorübergehend ansteigen.

Der Grund ist eine Insulinresistenz: Die Körperzellen sprechen nicht mehr ausreichend auf das Hormon Insulin an, das die Glukose aus dem Blut in die Zellen befördern soll. Damit entspricht der GDM weitgehend dem Diabetes Typ 2.

Merke!
Beim Schwangerschaftsdiabetes ist der Blutzuckerstoffwechsel aus der Balance geraten. Die Ursache ist eine Insulinresistenz, bei der die Zellen nicht mehr ausreichend auf das Hormon reagieren. Folglich sinkt der Blutzucker nicht adäquat ab.

Warum ist Schwangerschaftsdiabetes gefährlich?

Durch den Gestationsdiabetes kann das Neugeborene bei der Geburt größer und schwerer sein (Makrosomie). Woran liegt das? Wenn der Blutzucker zu hoch ist, gelangt vermehrt Glukose über die Nabelschnur von der Mutter zum Ungeborenen. Dadurch legt das Kind schon im Bauch ordentlich zu. 

Das kann Komplikationen während und unmittelbar nach der Geburt zur Folge haben. Daher wird bei sehr großen Babys ein Kaiserschnitt empfohlen. Zudem scheint der Nachwuchs später Gefahr zu laufen, selbst übergewichtig zu werden und an Diabetes Typ 2 zu erkranken.

Die Zuckerkrankheit erhöht zudem das Risiko der Mutter für Harnwegsinfekte, Frühgeburt – und Präeklampsie. Bei dieser Komplikation steigt der Blutdruck, es wird mehr Eiweiß mit dem Urin ausgeschieden und es kommt zu Wassereinlagerungen im Körper. Dies schadet sowohl Mutter als auch Baby. Auch wenn die Insulinresistenz meist nach der Geburt wieder verschwindet, ist das Risiko der Frauen erhöht, später an Typ-2-Diabetes zu erkranken. 

Merke!
Blutzuckerentgleisungen bergen Risiken wie Makrosomie, Geburtskomplikationen, Frühgeburt oder Präeklampsie. Zudem entwickeln Betroffene später im Leben häufiger einen Typ-2-Diabetes.

Wer bekommt Schwangerschaftsdiabetes?

In der Regel erfragt der Gynäkologe schon zu Beginn der Schwangerschaft, ob Risikofaktoren vorliegen und somit die Neigung für einen Gestationsdiabetes besteht. So tritt die Erkrankung häufiger bei Frauen auf, die:

  • Eltern oder Geschwister mit Diabetes mellitus haben
  • stark übergewichtig sind (Adipositas)
  • schon einmal einen Schwangerschaftsdiabetes hatten 
  • älter als 35 Jahre sind oder
  • bereits ein schweres Kind (über 4500 Gramm) entbunden haben

Merke!
Einige Faktoren können die Krankheit begünstigen, darunter familiäre Vorbelastung, starkes Übergewicht oder die Diagnose wurde bereits in vorangegangener Schwangerschaft gestellt. Wenn eine Schwangere schon älter ist, nimmt das Risiko ebenfalls zu.

Wie wird ein Schwangerschaftsdiabetes diagnostiziert?

Die Erkrankung verursacht meist keine spürbaren Beschwerden. Daher sollten Frauen zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche einen Screening-Test in Anspruch nehmen. 

50-g-Glukose-Suchtest

Im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen werden 50 Gramm Glukose als Getränk verabreicht. Eine Stunde danach wird die Höhe des Blutzuckers gemessen. Liegt der Wert bei 135 mg/dL (7,5 mmol/L) oder höher, schließt sich ein zweiter Zuckertest an. 

75-g-Glukose-Toleranztest (oGTT)

Zunächst wird der Nüchternblutzucker bestimmt, danach trinkt die werdende Mutter 75 Gramm Glukose, die in Wasser gelöst sind. Nach 1 und 2 Stunden wird wieder der Blutzucker gemessen. Für alle drei Messungen gelten Höchstwerte. Erreicht oder überschreitet ein Blutzuckerwert diese Grenze, wird die Diagnose gestellt.

Merke!
Im Rahmen der Vorsorge wird ein 50-g-Glukose-Suchtest empfohlen. Der Gestationsdiabetes wird anhand von drei Blutzuckermessungen mit dem 75-g-Glukose-Toleranztest (oGTT) diagnostiziert.

Was darf ich bei Schwangerschaftsdiabetes essen?

Die Diagnose verunsichert und die Angst um das Baby ist oft groß. Jedoch lässt sich ein GDM mit Ernährungsumstellung und Bewegung gut in den Griff bekommen. Unterstützung erhalten Patientinnen zudem in einer diabetologischen Schwerpunktpraxis. Aber wie sieht eine Schwangerschaftsdiabetes-Ernährung überhaupt aus?

Kohlenhydrate und Essensrhythmus beachten

Angehende Mütter müssen jetzt auf Menge und Qualität der Kohlenhydrate achten. Planen Sie zu jeder Speise eine Portion Kohlenhydrate ein – aber eine Handvoll genügt. Günstig ist auch Regelmäßigkeit: Drei nicht zu mächtige Hauptmahlzeiten und zwei bis drei kleinere Zwischenmahlzeiten (einschließlich einer Spätmahlzeit). So lassen sich Blutzuckerspitzen nach dem Essen besser vermeiden. 

Die Mischung macht's

Da morgens die Insulinresistenz am größten ist, sollte beim Frühstück die Portion an Kohlenhydraten kleiner ausfallen als zum Mittag- oder Abendessen. Demnach darf es gern herzhaft zugehen. Wie wäre es mit einem Süßkartoffel-Toast mit Cashew-Aufstrich oder der Avocado mit Hüttenkäse und Roggenbrot? Kombinieren Sie zudem die Energiespender mit einer Protein- oder Fettquelle. Diese Nährstoffe verzögern die Aufnahme der Kohlenhydrate ins Blut. Klasse Kombis wären Beeren mit Naturjoghurt, Vollkornbrot mit Käse, Apfel mit Nüssen, Naturreis mit Fisch. 

Komplexe Kohlenhydrate wählen

Generell profitieren Diabetikerinnen von komplexen Kohlenhydraten; also Getreideflocken, Naturreis, Vollkornkornbrot und Vollkornnudeln. Die enthaltene Stärke muss vom Körper erst gespalten werden, auch verzögern die Ballaststoffe aus den Vollkornprodukten den Blutzuckeranstieg.

Vorsicht Zucker

Vermeiden Sie dagegen weitestgehend Weißmehl und Zucker. Sie lassen den Blutzucker in die Höhe schnellen. Wenn einen die Naschlust überkommt, sind ein Vollkornkeks, ein Stück dunkle Schokolade (mindestens 70 Prozent Kakaogehalt), eine Handvoll Mandeln oder Nüsse die bessere Wahl. 

Ebenso ist Umsicht bei Obst angesagt. Banane, Birne, Kaki (Sharon), Kirschen und Weintrauben liefern vergleichsweise viel fruchteigene Süße. Neben Beeren sind Apfel, Wassermelone und Zitrusfrüchte die günstigere Alternative.

Auch Getränke, Fast Food und Fertigprodukte enthalten oft große Mengen an den weißen Kristallen. Besonders tückische Fallen stellen vermeintlich gesunde Fertigmüslis, Fruchtjoghurts oder Lightprodukte dar. So enthalten fettarme Produkte oft mehr von dem Übeltäter als die gehaltvollere Konkurrenz. Konsumieren Sie Süßstoffe ebenfalls nicht bedenkenlos; gewöhnen Sie stattdessen Ihren Geschmack lieber nach und nach an weniger Süße.

Passend dazu: Louwen-Diät: Schwangerschaft und Geburt entspannt meistern

Werden Sie zur Besser-Esserin

Setzen Sie bei Ihren Hauptmahlzeiten auf die richtigen Kohlenhydrate, besonders viel Gemüse und Eiweiß wie Fisch, Fleisch, Hülsenfrüchte sowie Milchprodukte. Ergänzt wird der Speiseplan durch Nüsse, hochwertige Pflanzenöle und Fisch. Dank seiner Omega-3-Fettsäuren ist fetter Kaltwasserfisch wie Lachs, Makrele und Hering sehr gesund. Diese Fettsäuren halten die Gefäße geschmeidig und fördern die Gehirnentwicklung beim Ungeborenen.

Auch bei Schwangerschaftsdiabetes darf der generelle Mehrbedarf an einigen Vitalstoffen nicht vernachlässigt werden, darunter Folsäure, Vitamin-B-Komplex, Vitamin D, Calcium, Eisen, Magnesium und Jod.

Lesen Sie hier mehr: Ernährung während der Schwangerschaft

Wenn zu Ihrer Schwangerschaftsdiabetes-Ernährung einige Fragen auftauchen, sprechen Sie diese offen bei Ihrem Arzt oder bei der Ernährungsberatung an. Auch das gehört zur diabetologischen Behandlung.

Merke!
Betroffene sollten jetzt auf Menge und Qualität der Kohlenhydrate achten. Ergänzt wird der Speiseplan durch viel Gemüse, zuckerarmes Obst, Eiweißquellen und hochwertige Pflanzenöle.

Kontrolliert zunehmen

Noch immer hört man die Devise „Essen für zwei”. Dabei steigt der Kalorienbedarf während der Schwangerschaft nur sehr wenig an. Und auch nur dann, wenn Sie sich unverändert bewegen und aktiv bleiben. So liegt dieser Zuschlag für Normalgewichtige im zweiten Trimester bei 250 Kilokalorien und im dritten Trimester bei 500 Kilokalorien pro Tag. 

Dann ist es völlig normal, dass der Zeiger auf der Waage nach oben wandert. Diese Entwicklung sollte aber gewisse Höchstgrenzen (siehe Tabelle) einhalten und orientiert sich am BMI vor der Empfängnis; also bei niedrigem Körpergewicht kann mehr zugelegt werden, bei Übergewicht entsprechend weniger. Nehmen Schwangere zu viel zu, verschlechtert das den Blutzuckerstoffwechsel.

Tabelle: Empfohlener Bereich der Gewichtszunahme während der Schwangerschaft

Klassifikation BMI (kg/m²) Gesamte Gewichtszunahme (kg)
Untergewicht < 18,5 12,5–18
Normalgewicht 18,5–24,9 11,5–16
Übergewicht 25,0–29,9 7–11,5
Adipositas ≥ 30 5–9

Merke!
Essen Sie nicht nur ausgewogen und abwechslungsreich. Vermeiden Sie zudem eine übermäßige Gewichtszunahme in der Schwangerschaft.

Jeder Schritt zählt

Körperliche Aktivität wirkt sich günstig auf den Stoffwechsel aus und hilft ihm zurück ins Gleichgewicht. Denn die Muskeln verbrauchen Glukose. Sobald die Muskeln arbeiten, beziehen sie den Treibstoff aus ihren eigenen Vorräten. Sind diese leer, besorgen sie sich ihren Nachschub aus dem Blut mit der Folge, dass der Blutzuckerspiegel sinkt. Mit der Zeit werden die Zellen auch wieder sensibler für Insulin.

Sofern der Arzt keine körperliche Schonung empfiehlt, tun mindestens 30 Minuten Bewegung täglich gut. Dabei ist es dem Stoffwechsel egal, womit Kalorien verbraucht werden: Aquafitness, Fitnesstraining, Pilates, Schwimmen, Wandern oder Yoga. Geübte Sportlerinnen können meist bei ihrer Sportart bleiben und intensiver als Ungeübte trainieren – vorausgesetzt die Verletzungsgefahr ist nicht zu hoch. Die einfachste Art der Bewegung ist allerdings zügiges Spazierengehen oder Radfahren, am besten nach den Hauptmahlzeiten. 

Merke!
Regelmäßige Bewegung reguliert den Blutzuckerspiegel und verbessert die Insulinsensitivität. Dazu sind unter anderem Aquafitness, Fitnesstraining, Radfahren oder zügiges Spazierengehen geeignet.

Wann ist eine Insulintherapie nötig?

Ob die Umstellungen den gewünschten Erfolg haben, zeigt die Blutzuckermessung, die die Diabetikerin selbst­ständig durchführt. Den Umgang mit dem Blut­zucker­mess­gerät zeigen die Experten in der Arzt­praxis.

Wenn trotz Lebensstiländerung die Schwangerschaftsdiabetes-Werte häufig oberhalb der Ziele liegen, wird zusätzlich Insulin erforderlich. Das ist aber nur in 20–30 Prozent aller Fälle nötig. Mit der Insulintherapie sollte dann auch nicht zu lange gewartet werden, schließlich schaden hohe Blutzuckerwerte Mutter und Kind.

Merke!
Erst wenn Ernährungsumstellung und Bewegung nicht greifen, ist eine Insulintherapie in Betracht zu ziehen.

Bitte Stillen

Muttermilch ist die beste Form der Säuglingsernährung – gerade bei Diabetikerinnen. Daher empfehlen Fachleute, den Nachwuchs mindestens vier bis sechs Monate zu stillen. So erleiden gestillte Säuglinge später seltener Übergewicht, Diabetes mellitus Typ 1 und 2 (1)

Außerdem werden Sie überflüssige Pfunde schneller wieder los und Ihr Risiko, im späteren Leben an einem dauerhaften Diabetes zu erkranken, lässt sich ebenfalls senken. Lassen Sie sich schon vor der Geburt von einer Hebamme beraten. 

Merke!
Stillen ist eine wichtige Präventionsaufgabe, um die Gesundheit von Mutter und Kind zu schützen. Mindestens vier bis sechs Monate sollten es sein.

Wissen zum Mitnehmen

Die Diagnose verunsichert, die Sorgen um mögliche Komplikationen und die Gesundheit des Kindes sind groß. Allerdings ist eine angepasste Ernährung bei Schwangerschaftsdiabetes in Kombination mit Bewegung das beste Mittel, um Blutzuckerentgleisungen und einer übermäßigen Gewichtszunahme vorzubeugen.

Dann stehen komplexe Kohlenhydrate, weniger Zucker und ein cleverer Mahlzeitenrhythmus auf der Tagesordnung. Dabei sollte der Spruch „Essen für zwei” nicht wörtlich genommen werden. Es gilt kontrolliert zuzunehmen und auf die Qualität der Speisen zu achten. Nach der Geburt profitieren Mutter und Kind, wenn gestillt wird.


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Dr. Riedl ist unser Experte für den Bereich "Ernährung bei Krankheiten". Er gibt Tipps, wie Sie mit der richtigen Ernährung Beschwerden lindern können. 
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