Experten-Interview

Was sollen Kinder essen?

Von Lina Nagel
Aktualisiert am 28. Feb. 2023
Junge mit lockigen Haaren pikst mit einer Gabel in ein Stück Kuchen

Um Kinderernährung tobt ein regelrechter Glaubenskrieg: Was sollen wir den Kleinen zu essen geben, damit sie sich gut entwickeln? Und kann auch ein Moppelchen gesund sein? EAT SMARTER hat eine Expertin interviewt

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Anja Boerner ist selbständige Ökotrophologin und arbeitet unter anderem mit der Zentrale für Ernährungsberatung der HAW Hamburg zusammen. Ihre Steckenpferde sind die Anleitung zur Verhaltensänderung beziehungsweise die Selbstreflektion von übergewichtigen Klienten und die gesunde Ernährung von Kindern.

Für EAT SMARTER beantwortet Anja Boerner die wichtigsten Fragen rund um die gesunde Ernährung von Kindern.

Wie wichtig ist eine ausgewogene Ernährung bei Kindern?

Eine ausgewogene Ernährung ist für gesundes Wachstum natürlich wichtig. Viel wichtiger als eine perfekte Ernährung ist aber das Gefühl der Geborgenheit. Das heißt: Ein entspannt gegessenes Weißbrot und dabei ein schönes Familiengespräch ist gesünder als ein Drama um das Schwarzbrot. Der Esstisch sollte nicht zum Stresstisch werden!

Oft stressen gerade Mütter sich mit dem Anspruch, gesundes Essen auf den Tisch zu bringen. Wenn die Mutter vor lauter Einkaufen, Kochen oder selber anbauen keine Zeit mehr hat für ihr Kind, ist das schädlicher für die Gesamtentwicklung als ein Kompromiss-Essen, nach dem noch Zeit ist für eine gemeinsame Partie „Mensch ärgere dich nicht“.

Wie viele Familienmahlzeiten am Tag sollten es sein?

So viele wie möglich, immer abhängig davon, was der Familienalltag hergibt. Manche Familien können einmal die Woche, andere dreimal am Tag gemeinsam essen. Fast noch wichtiger als die Zahl der gemeinsamen Mahlzeiten ist eine entspannte Atmosphäre am Esstisch: Anstelle die schlechten Schulnoten des Kindes oder Beziehungsprobleme zu diskutieren, sollte man versuchen, es sich zusammen so nett wie möglich zu machen.

"Der Esstisch sollte nicht zum Stresstisch werden" 

Worauf kommt es bei Familienmahlzeiten an?

An erster Stelle steht die Atmosphäre: Wünschenswert ist ein möglichst nettes Miteinander. Eine Familienmahlzeit sollte Auswahl und Wahlfreiheit bieten. Am besten ist es natürlich, wenn alle Familienmitglieder zusammen essen, denn nur so lernen kleine Kinder, selbständig zu essen. Am Anfang ist es aufwendig, mit der einen Hand Brei zu füttern und mit der anderen Hand selbst zu essen, aber je älter die Kinder werden, desto einfacher wird es. Nur wenn sie mit anderen essen, können sich Kinder ein „erwachsenes“ Essverhalten abgucken.

Müssen Kinder ihren Teller leer essen?

Nein. Es ist erwiesen, dass der Zwang, aufzuessen, bei Kindern zu Essstörungen führen kann. Heutzutage lautet die Devise: Eltern bieten an, und die Kindern entscheiden, ob, was und wie viel sie von diesem Angebot essen.

Kann ich Essen als Belohnung einsetzen, zum Beispiel: "Einen Nachtisch gibt es nur, wenn du das Gemüse isst"?

Nein! Dadurch lernen Kinder, sich mit Essen zu belohnen, und entwickeln im schlimmsten Fall eine Essstörung. Wenn der Nachtisch geplant ist, dann sollte das Kind ihn auch bekommen, unabhängig davon, ob es die Hauptmahlzeit gegessen hat oder nicht. Druck und Macht gehören nicht an den Esstisch. Wir Erwachsenen essen auch alle unterschiedlich, haben mal Appetit auf das eine, mal auf das andere. Warum sollte es bei Kindern anders sein?

Hilfe, mein Kind mag kein Obst und Gemüse! Was kann ich tun?

Selten lehnt ein Kind kategorisch alle Obst- und Gemüsesorten ab. Wenn ein Kind sehr wählerisch ist, handelt es sich meistens nur um eine Phase.

Wichtig ist, wie lange diese Phase dauert: Isst das Kind mal einen Tag oder eine Woche kein Gemüse, ist das nicht dramatisch. Hält die Phase mehrere Monate an, müssen Eltern sich fragen, ob dahinter nicht mehr steckt, zum Beispiel Machtspielchen, die über das Essverhalten ausgetragen werden. Die Eltern sollten das verschmähte Obst und Gemüse immer wieder anbieten und, das ist das Allerwichtigste, selber mit Freude und Genuss Gemüse und Obst essen.

Ich empfehle, Kinder beim Einkaufen und Kochen einzubeziehen, auch wenn sie das Gemüse nicht selber essen. Früher oder später werden sie doch probieren wollen. Manchmal hilft auch schon die Darreichungsform, wenn man zum Beispiel Gurkenscheiben zu einer Blume legt. Das Auge isst mit, auch bei Kindern.

"Kinder können problemlos vegetarisch leben."

Was tun, wenn mein Kind kein Fleisch essen will?

Mein dreijähriger Sohn wollte auf einmal Vegetarier sein. Ich erklärte ihm dann, dass Eisen im Fleisch wichtig für sein Wachstum sei und das wenige Fleisch, das wir essen, von glücklichen Tieren stamme (mittlerweile ist er über 1,95 Meter groß und ich selbst Vegetarierin). Immer mehr Kinder und Jugendliche verzichten auf Fleisch. Ich würde dieses Bedürfnis als Elternteil ernst nehmen und nach den Gründen fragen.

Kinder können problemlos vegetarisch leben. Nur die ausreichende Versorgung mit Eisen muss regelmäßig kontrolliert werden.

Was ist das beste Getränk für Kinder?

Das beste Getränk für Kinder ist Wasser. Anders als Saft enthält es keinen Zucker, der zu Übergewicht und Karies führen kann. Kinder können ruhig Leitungswasser trinken, allerdings sollte man sich zuvor bei den örtlichen Wasserwerken über dessen Qualität informieren. In manchen Gegenden in Deutschland ist die Nitratbelastung des Trinkwassers recht hoch. Auch wer einen Hausbrunnen hat, sollte die Qualität des Wassers kontrollieren lassen, bevor er es seinen Kindern zum Trinken anbietet.

Was ist dran an speziellen Kindersäften und -tees?

Kindersäfte und -tees locken mit bunten, auf Kindergeschmack zugeschnittenen Verpackungen und Gesundheitsversprechen. In der Realität sind sie nicht nur teurer als normale Säfte und Tees, sondern enthalten nicht selten eine Extraportion Zucker. Gesünder für Kinder sind sie auf jeden Fall nicht.

Was sollte ich meinem Kind zum Essen in die Schule mitgeben?

Um diese Frage entspinnt sich in deutschen Schulen gerade ein regelrechter Glaubenskrieg. Mittlerweile wird ja sogar auf Elternabenden festgelegt, was Eltern in die Brotbox packen sollen und was nicht. Mit dem Verbot von Milchschnitte, Weißmehl oder Fruchtschorlen wird man aber niemandem gerecht. Manchen Eltern geht die Regelung nicht weit genug, manche fühlen sich zu stark reglementiert.

Die Brotdose ist also eine harte Nuss. Eltern stehen vor der anspruchsvollen Aufgabe: Das Kind muss das Pausenbrot mögen, es soll gesund sein und genug Energie für den langen Schultag geben. Doch oft genug bringt das Kind seine Brotdose unbesehen mit nach hause. Dann muss man natürlich fragen, warum das Kind nichts gegessen hat. Oft lautet die Antwort: „Ich hatte gar keine Zeit zum Essen, ich habe in der Pause gespielt.“ Ich finde, in diesem Fall sollten sich die Eltern freuen, dass ihr Kind sozial integriert ist und die Hand zum Klettern braucht und nicht zum Essen. Wenn ein Kind richtig Hunger hat, dann isst es auch sein Schulbrot. Die Sorge der Eltern ist oft überzogen, das Essverhalten ihrer Kinder völlig in Ordnung.

"Streichen Sie nicht prophylaktisch Milchprodukte vom Speiseplan."

Darf man mit seinen Kindern ab und zu ins Fast Food-Restaurant gehen?

Ja, klar. Bei einer abwechslungsreichen Ernährung ist auch Fast Food ab und zu in Ordnung. Wichtig ist, dass der Besuch bei McDonalds oder Burger King nicht als etwas Besonderes und erst recht nicht als Belohnung dargestellt wird. Ich habe es in meiner Praxis als Ernährungsberaterin schon erlebt, dass eine Mutter nach einer Beratungsstunde sagte: „Weil du so toll mitgemacht hast, gehen wir jetzt zu McDonalds.“ Da fehlten mir die Worte.

Woran sehe ich, ob mein Kind zu dick oder zu dünn ist?

In erster Linie sollte das Augenmaß der Eltern darüber entscheiden. Doch das Empfinden, ob ein Kind zu dick oder zu dünn ist, variiert zwischen Familien und Kulturkreisen.

Ein guter Richtwert sind die Somatogramme, die sich in jedem Kinder-Untersuchungs-Heft finden. Hier gibt es Diagramme für verschiedene Altersgruppen, anhand derer sich zumindest grob bestimmen lässt, ob das eigene Kind normal oder unter- beziehungsweise übergewichtig ist. Auch der Kinderarzt schaut bei den Routine-Untersuchungen auf das Gewicht der Kinder. Im Internet kann man die sogenannte BMI-Perzentile seines Kindes berechnen.

Es ist durchaus in Ordnung, wenn das Kind etwas kräftiger oder zarter gebaut ist als die Norm. Kritisch sind immer stärkere Schwankungen beim Gewicht. Sie können auf Krankheiten, Fütterstörungen oder psychische Probleme hinweisen.

Können auch Kinder schon Laktose-Intoleranz entwickeln?

Leider ja. Der Milchzucker (Lactose) und das Eiweiß in der Kuhmilch können bei einigen Kindern eine Lactose-Intoleranz oder eine Milcheiweiß-Allergie auslösen. Hinweise auf eine Lactose-Intoleranz sind zum Beispiel ein Blähbauch und Durchfall nach dem Verzehr von Milch.

Symptom für eine Milcheiweiß-Allergie kann ein Hautekzem sein. Ganz wichtig: Stellen Sie keinen Eigendiagnosen und streichen Sie nicht prophylaktisch Milchprodukte vom Speiseplan Ihrer Kinder. Wenn Sie bei Ihrem Kind den Verdacht auf eine Allergie oder Intoleranz haben, sprechen Sie als erstes mit Ihrem Kinderarzt. Er verweist Sie, wenn nötig, an einen Spezialisten.

 
Nur zur Ergänzung zum Thema vegetarische Ernährung und Eisenmangel. Milchprodukte blocken die Eisenaufnahme zum Teil aus der pflanzlichen Kost. Am besten kann man es umgehen wenn man Vegan lebt. Dann ist auch die Eisenaufnahme kein Problem mehr. Mal davon abgesehen das Milchprodukte alles andere als gesund ist, wie uns schon Ewigkeiten vorgegaukelt wird.
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