Gendermedizin: Sind Frauen anders krank als Männer?
Frauen können nicht einparken und Männer sind schlechte Zuhörer – diese Stereotypen kennt jeder. Was viele nicht wissen: Frauen und Männer werden tatsächlich unterschiedlich krank. Im Live Smarter-Blog zu Gendermedizin erfahren Sie, warum Frauen auch in der Medizin anders ticken als Männer und welche Folgen das hat.
Inhaltsverzeichnis
-
Was ist Gendermedizin?
- Großer Forschungsbedarf
- Depressionen – eindeutiges Beispiel
- Warum der englische Begriff?
-
Warum ist Gendermedizin wichtig?
- Frauen: mehr Autoimmunerkrankungen
- Männer: eindeutige Symptome bei Herzinfarkt
-
Welche Unterschiede sind bedeutend für die Medizin?
- Körperbau beeinflusst Wirkung von Medikamenten
- Rollenverteilung: Mann und Frau
-
Wie ist Gendermedizin entstanden?
- Frauen aus Studien ausgeschlossen
- WHO empfiehlt Versorgung für Mann und Frau
- Wissen zum Mitnehmen
Was ist Gendermedizin?
Die Gendermedizin ist eine noch junge Wissenschaft, die sich den Unterschieden zwischen Männern und Frauen in Bezug auf Gesundheit und Krankheit widmet. Ihr Ziel ist es, durch geschlechterspezifische Diagnose- und Therapiekonzepte, sowohl für weibliche als auch für männliche Patienten eine bessere medizinische Versorgung zu schaffen.
Großer Forschungsbedarf
Während das Thema in den meisten alteingesessenen Arztpraxen noch fremd ist und in der ärztlichen Routinearbeit kaum beachtet wird, ist die Gendermedizin in Universitätskliniken und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen brandaktuell. Je mehr Studien zu diesem Thema veröffentlicht werden, desto klarer wird, wie wichtig es ist, die Unterschiede zwischen Mann und Frau in der Medizin zu beachten. Deutlich wird auch, wie groß der Forschungsbedarf zu diesem Thema noch ist (1).
Depressionen – eindeutiges Beispiel
Bei einigen Krankheiten sind die Unterschiede zwischen den Geschlechtern kaum zu übersehen. Ein Beispiel dafür sind Depressionen: Bei Frauen werden sie doppelt so oft diagnostiziert wie bei Männern. Für das vermeintlich stärkere Geschlecht ist es noch immer schwerer, sich psychische Probleme einzugestehen, geschweige denn darüber zu reden und Hilfe zu suchen. Hier ist die gesellschaftliche Rollenzuweisung des „starken“ Mannes und deren Folgen klar zu erkennen. Während Frauen eher den Schritt zum Arzt wagen, greifen Männer, die depressiv sind, vermehrt zu Alkohol und anderen Drogen.
Auch auf Seiten der Ärzte finden sich geschlechterspezifische Unterschiede in der Diagnose. Symptome einer Depression etwa erkennen Ärzte bei Frauen leichter als bei Männern. Bei männlichen Patienten machen sie dagegen häufig körperliche Ursachen als Auslöser für die Beschwerden aus. Das führt unter anderem dazu, dass viele Männern unter unbehandelten Depressionen leiden (2).
Warum der englische Begriff?
Auch in der Medizin spielt das Bild, dass Männern und Frauen in der Gesellschaft haben, eine große Rolle. Um die Unterschiede zwischen Mann und Frau zu erklären, ist das deutsche Wort „Geschlecht“ daher nicht ausreichend. In der Medizin und auch in anderen Bereichen hat sich so der englische Begriff „gender“ etabliert. Im Englischen gibt es zwei Begriffe für die Geschlechter: sex und gender. Sex bezieht sich auf das biologische Geschlecht und gender auf die soziale, kulturelle und politische Rolle von Mann und Frau.
Warum ist Gendermedizin wichtig?
Männer und Frauen unterscheiden sich in ihren gesundheitlichen Problemen. Das heißt unter anderem, dass bestimmte Krankheiten bei dem einen Geschlecht häufiger auftreten als bei dem anderen (3).
Frauen: mehr Autoimmunerkrankungen
Frauen erkranken häufiger an Autoimmunerkrankungen als Männer. Grund dafür ist das aktivere weibliche Immunsystem. Damit sind Frauen einerseits besser gegen Infektionen gerüstet, andererseits neigen sie aber auch eher zu Autoimmunerkrankungen wie Morbus Crohn, Arthritis und Multiple Sklerose. Hier reagiert das besonders aktive Immunsystem über und versucht die eigenen Körperzellen zu bekämpfen.
Bei Multipler Sklerose und Rheumatoider Arthritis ist das Verhältnis von Frauen und Männern etwa 3:1. Bei der autoimmunen Schilddrüsenentzündung Hashimoto-Thyreoiditis liegt der Frauenanteil sogar bei 80 Prozent (4).
Männer: eindeutige Symptome bei Herzinfarkt
Doch nicht nur bei der Erkrankungshäufigkeit unterscheiden sich die Geschlechter. Dieselben Krankheiten können sich bei Mann und Frau auch ganz anders äußern. Der Herzinfarkt zum Beispiel kündigt sich mit verschiedenen Symptomen an. Bei Männern zeigt er sich in der Regel durch die klassischen Schmerzen in der Brust.
Frauen dagegen leiden eher unter unspezifische Symptomen wie Übelkeit, Schweißausbrüchen und Atemnot. Interpretieren Ärzte diese Anzeichen falsch, verlieren sie damit wertvolle Zeit zur Behandlung. Diese Fehlinterpretation führt mitunter auch dazu, dass Frauen nach einem Herzinfarkt häufiger sterben als Männer (5).
Nach den Wechseljahren nimmt das Risiko einen Herzinfarkt zu erleiden für Frauen zu, da der vorherige hormonelle Schutz nicht mehr gegeben ist. Deshalb ist es sowohl für Frauen als auch für Männer wichtig, die Risikofaktoren durch einen gesunden Lebensstil zu minimieren.
Neben Krankheitssymptomen und Häufigkeit zeigen sich für viele weitere Faktoren deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Dazu gehören zum Beispiel Risikofaktoren, Krankheitsursache, Diagnose, Behandlung, aber auch Verlauf und Prognose.
Welche Unterschiede sind bedeutend für die Medizin?
Vieles ist offensichtlich zu erkennen: Männer haben mehr Muskelmasse als Frauen, sie sind im Durchschnitt größer und haben einen kräftigeren Körperbau. Auch hormonell unterscheiden sie sich eindeutig, was durch Merkmale wie Haarwuchs und die Breite des Beckens zu erkennen ist. Was äußerlich jedoch nicht auffällt: Männer haben größere innere Organe, ihre Gefäße sind dicker und die Knochen dichter.
Körperbau beeinflusst Wirkung von Medikamenten
Diese Unterschiede beeinflussen die Wirkung von Medikamenten. Obwohl Frauen häufig kleiner sind und weniger wiegen als Männer, bekommen sie oft die gleiche Dosierung. Das führt dazu, dass viele Frauen überdosiert sind und dadurch vermehrt mit Nebenwirkungen zu kämpfen haben. Bei vielen Medikamenten wäre es daher unbedingt notwendig, die Dosierung dem Geschlecht anzupassen (6).
Rollenverteilung: Mann und Frau
Neben den biologischen Unterschieden hat auch die Rollenverteilung von Mann und Frau in der Medizin eine große Bedeutung. Das gesellschaftlich und kulturell definierte Bild davon, was Männer und Frauen ausmacht, beeinflusst, wie wir mit Krankheiten umgehen, ob wir zu Vorsorgeuntersuchungen gehen und wie wir uns ernähren.
Wie ist Gendermedizin entstanden?
Geschichtlich ist der männliche Körper in der Medizin die Norm. Auch Medikamente wurden in der Vergangenheit hauptsächlich an Männern getestet und die Ergebnisse dann auf Frauen übertragen (1).
Frauen aus Studien ausgeschlossen
Ende der sechziger Jahre gab es sogar einen kategorischen Ausschluss von Frauen aus Studien zu Medikamenten. Auslöser dafür war der Contergan-Skandal: Zahlreiche Frauen, die in der Schwangerschaft das Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan nahmen, brachten dadurch Kinder mit Fehlbildungen zur Welt.
Anfang der Neunzigerjahre häuften sich jedoch Berichte, die zeigten, dass Medikamente bei Patientinnen anders wirken als bei Patienten. Der Aspirin-Wirkstoff Acetylsalicylsäure etwa, schützt Männer, zusätzlich zu seiner schmerzlindernden Wirkung, wesentlich besser vor einem Herzinfarkt als Frauen (7).
WHO empfiehlt Versorgung für Mann und Frau
Die World Health Organization (WHO) und die United Nations entwickelten daraufhin Programme, die auf Gendermedizin basierten. Im Jahr 2001 gab die WHO die offizielle Empfehlung heraus, im Gesundheitswesen Strategien für eine geschlechtsspezifische Gesundheitsvorsorge zu entwickeln und umzusetzen (8).
Wissen zum Mitnehmen
Die Gendermedizin ist eine Wissenschaft, die sich mit den geschlechterspezifischen Unterschieden zwischen Mann und Frau in Bezug auf Gesundheit und Krankheit beschäftigt. Sie berücksichtigt nicht nur die biologischen Unterschiede, sondern auch die Auswirkungen, die das gesellschaftliche und kulturelle Dasein von Männern und Frauen haben.
So wirken sich zum Beispiel bestimmte Krankheiten bei Männern und Frauen unterschiedlich aus. Es zeigen sich, etwa bei einem Herzinfarkt und einer Depression, bei Frauen andere Symptome als bei Männern und auch der Verlauf der Krankheit ist anders.
Bei Medikamenten ist es besonders wichtig, die Dosierung dem Geschlecht entsprechend anzupassen. Da die meisten Studien mit Männern durchgeführt werden, bekommen Frauen häufig Dosierungen, die für ihre Körper zu hoch sind. Das führt dazu, dass viele Medikamente bei Frauen überdosiert sind und sie dadurch stärkere Nebenwirkungen haben.