So erhöhen Sie Ihre Stressresistenz
Zeitnot, Leistungsdruck, hohe Anforderungen – Stress hat viele Ursachen. Der Psychiater Prof. Florian Holsboer erklärt, warum Hektik und Anspannung nicht immer negativ sind und wie Sie Ihre Stressresistenz stärken.
Nach der Büro-Konferenz noch schnell zur Post, anschließend einen Happen zu Essen kaufen, dann noch zum Sport und eine Freundin besuchen: Stress und Hektik gehören inzwischen zum Alltag. Doch nicht jedem fällt es leicht, die zahlreichen Aufgaben unter einen Hut zu bringen. Prof. Florian Holsboer, Direktor am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München, erklärt, wie man seine Stressresistenz stärkt und warum Stress manchmal auch gar nicht verkehrt ist...
Was sind die größten Stressfallen?
Prof. Florian Holsboer: Stress ist etwas sehr Individuelles und wird unterschiedlich wahrgenommen. Grundlegend kann man aber sagen, dass wir heutzutage eher unter einer luxuriösen Form von Stress leiden: Während die Menschen noch vor rund 100 Jahren existenzielle Sorgen hatten, Seuchen, Hunger und Wohnungsnot überstehen mussten, ist unsere heutige Gesellschaft häufig von dem Gefühl geprägt, man verpasse ständig etwas und könne seine Aufgaben nicht optimal erfüllen. Andauernd hecheln wir einer noch besseren, größeren Lösung hinterher – sowohl privat als auch beruflich. Das ist etwas, das bei vielen Menschen Stress erzeugt.
Wie kann man sich gegen Stress wappnen?
Holsboer: Man muss lernen, mit dem, was man erreicht, innerlich zufrieden zu sein, und nicht jeden Erfolg zur Schau stellen zu wollen. Wer seine psychische Widerstandskraft stärken möchte, muss damit leben können, dass es innere Siege gibt, für die man keinen Applaus bekommt. Ein Beispiel: Wenn Sie Ihren Chef von einer neuen Idee überzeugen und der diese wenig später als seine eigene verkauft, sollten Sie diese Situation innerlich annehmen – erst dann werden Sie gelassener und widerstandsfähig. Wichtig für die Stressresistenz sind zudem soziale Kontakte und Netzwerke. Wer sich in belastenden Situationen mitteilen und auf diese Weise innerlich aufrichten kann, wird Stresssituationen deutlich besser verarbeiten als jemand, der alles mit sich alleine ausmacht. Die Annahme basiert unter anderem auf Beobachtungen von US-amerikanischen Kriegsgefangenen, die in Vietnam in Einzelhaft waren. Einige von ihnen konnten sich mithilfe von Morse- und Klopfzeichen miteinander verständigen und austauschen. Diese Männer haben das traumatische Erlebnis der Haft wesentlich besser verkraftet als jene Betroffenen, die von der Außenwelt komplett abgeschnitten waren.
Kann Stress auch etwas Positives haben?
Holsboer: Definitiv. Wir benötigen Stress und die daraus resultierenden Reaktionen unseres Körpers, um Gefahren auszuweichen. Eine Spezies ohne Stress und Angst würde auf diesem Planeten nicht lange überleben. Deshalb sollte man das Thema auch nicht immer so negativ betrachten. Nicht alles, was Stress erzeugt, macht uns krank. Richtig ist: Wenn Sie an Weihnachten eine Gans zubereiten, bedeutet das Hektik und Anspannung. Richtig ist aber auch: Am Ende aller Anstrengungen haben Sie ein tolles Produkt, auf das Sie stolz sein können – selbst dann, wenn beim Kochen irgendetwas nicht perfekt klappt. Menschen, die wenig stressanfällig sind, grübeln nicht über entstandene Fehler, sondern sehen in ihnen die Chance, etwas zu lernen und es beim nächsten Mal besser zu machen. Das fördert die Gelassenheit. Abgesehen davon können Hektik und Anspannung auch Kreativität und Innovation fördern. Sie ermöglichen es uns, unkonventionelle Lösungen zu finden, auf die wir im entspannten Zustand nie gekommen wären. Mein Rat: Lassen Sie Stress auch einmal zu. Er kann beflügeln und positiv wirken.
Dauerhafter Stress hingegen macht uns krank.
Holsboer: Das stimmt. Depressionen, Stoffwechselstörungen, ja sogar Demenz und Diabetes können das Resultat von psychischen Dauerbelastungen sein. Um nur ein Beispiel zu nennen: In Japan, wo die Menschen extrem viel arbeiten und hohen Belastungen ausgesetzt sind, ist die Anzahl an Diabetikern genauso hoch wie in den USA – dabei ernähren sich die Japaner durchaus gesund und sind in der Regel alles andere als übergewichtig. Angesichts dessen müssen wir davon ausgehen, dass unter anderem auch dauerhafter Stress ein hohes Potenzial für die Entstehung von Krankheiten birgt. Und aus diesem Grund ist es wichtig, sein eigenes Stresslevel zu kennen und Veränderungen zu registrieren.
Woran merkt man, dass man Hilfe braucht?
Holsboer: Der wichtigste Bio-Marker ist der Schlaf. Wenn man aufgrund der Ereignisse des Tages oder einer anderen dauerhaft belastenden Situation nicht einschlafen kann, man Schwierigkeiten hat durchzuschlafen und nachts immer wieder aufwacht, dann sollte man zu einem Psychiater oder klinischen Psychologen gehen und seine Probleme besprechen. Auch wenn man auf bestimmte Lebenssituationen mit körperlichen Symptomen wie Bluthochdruck oder Angstschweiß reagiert, kann ein Gespräch mit einem Experten hilfreich sein. In dem Zusammenhang spielt das Thema Resilienz – also die seelische Widerstandsfähigkeit – eine große Rolle: Mithilfe eines Coaches kann man trainieren, gelassener mit belastenden Situationen umzugehen.
Gelassenheit lässt sich also erlernen?
Holsboer: Bis zu einem gewissen Grad schon. Wir alle besitzen zwar bestimmte genetische Anlagen im Hinblick auf unsere Stressresistenz, aber vieles kann man sich aneignen. Meistens hilft es bereits, Situationen, die einen stressen oder in Rage bringen, mit einem Coach zu analysieren. Wenn beispielsweise ein Lehrer vor der Klasse steht und sich weder Gehör noch Respekt verschaffen kann, liegt die Ursache dafür häufig in einer verborgenen Unsicherheit. Diese kann man besprechen und aufarbeiten. Beim nächsten Mal wird der Betroffene schon viel gelassener sein, wenn er vor seine Schüler tritt.
Was unternehmen Sie selbst gegen Stress und Hektik?
Holsboer: Ich habe gelernt, dass es hilfreich ist, sich ab und an rar zu machen. Dadurch, dass ich im Job sehr stark eingespannt bin, muss ich Angebote sondieren und bei manch einer Anfrage auch Nein sagen. Das Wichtigste ist jedoch ein effektives Zeitmanagement. Ich strukturiere jeden Tag sehr genau und vermeide dadurch Hektik und Termindruck. Das Jahr hat 8760 Stunden – da sollte man sich gut überlegen, was einem wichtig ist und wie man die Zeit effektiv nutzt.
Viele Unternehmen erwarten die ständige Erreichbarkeit ihrer Mitarbeiter. Stellen Sie zu Hause Ihr Handy ab?
Holsboer: Nein, das halte ich sogar für kontraproduktiv. Ich bin froh, wenn ich über das Smartphone auf die Schnelle eine E-Mail beantworten kann und nicht am nächsten Morgen bei der Arbeit vor einem Berg unerledigter Aufgaben sitze. Das Problem der ständigen Erreichbarkeit wird heutzutage zwar immer wieder diskutiert, ist meiner Meinung nach aber nicht so relevant, wie viele glauben. Natürlich sollte man beim Schlafengehen den Ton seines Handys ausstellen und nicht ständig damit hantieren. Aber diese technische Errungenschaft erleichtert auch viele Dinge in unserem Alltag. Man sollte nicht immer das Negative in allem sehen – nur so können wir unsere Stressresistenz erhöhen.
Prof. Florian Holsboer, 68, ist seit 1989 Direktor am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München und Mitglied einer Praxisgemeinschaft. Er behandelte unter anderem den an Depressionen erkrankten Fußballspieler Sebastian Deisler und veröffentlichte 2009 das Buch „Biologie für die Seele“. Gemeinsam mit dem Unternehmer Carsten Maschmeyer gründete Holsboer 2010 die Biotech-Firma HMNC GmbH, die unter anderem Medikamente für depressiv Erkrankte entwickelt. Weitere Informationen unter www.holsboer.de
Interview: Janina Darm
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