Rohmilch: mehr Geschmack, mehr Risiko?
Ein Mädchen hüpft über eine Bergwiese. In der Hand schwingt es ein Milchkännchen. Das Muhen der Kühe hallt durch das Tal. Auf dem Hof wirft das Mädchen eine Münze in einen Blechkasten. Das Kännchen füllt sich mit frischer Milch. Mehr als 120 solcher Milchtankstellen gibt es bereits in Deutschland. Die Frischmilch-Automaten sind im Trend. Melkbetriebe verkaufen mit den Selbstbedienungs-Maschinen die Milch ihrer Kühe – roh, geschmacklich vollmundig, unerhitzt, aber auch samt Keimen. Ist das Bauernhof-Romantik im Selbst-Service oder Gesundheitsrisiko auf Knopfdruck?
Geschmack vs. Gesundheit
"Aus Rohmilch hergestellt" – für Käseliebhaber ist diese Botschaft eine Produktempfehlung, für Schwangere ist sie eine Produktwarnung. Rohmilch steht sowohl für aromatischen Geschmack als auch für ein gesundheitliches Risiko. Woran liegt das?
Rohmilch ist frische Milch, die nach dem Melken zwar gefiltert und gekühlt, aber nicht erhitzt oder behandelt wird. Dadurch bleiben praktisch alle ursprünglichen Nähr- und Geschmacksstoffe erhalten. Ein weiterer Bonus für den Geschmack ist ihr natürlicher Fettgehalt. Der liegt mit 3,8 bis 4,2 Prozent etwas höher als bei standardisierter Vollmilch. Hobelkäse, Greyerzer, Sbrinz oder andere Käsesorten, die aus Rohmilch hergestellt werden, gelten deshalb als vollmundig und besonders aromatisch.
Natürlicher Keimgehalt
Aufgrund ihrer Eigenschaften kann Rohmilch für bestimmte Verbrauchergruppen aber auch gesundheitlich bedenklich sein. Da sie nicht pasteurisiert wird, bleibt in der Rohmilch neben Geschmack, Nährstoffen und Fett auch ihr natürlicher Keimgehalt enthalten. Dieser besteht einerseits aus gesundheitlich unbedenklichen Milchsäurebakterien, kann aber andererseits auch unzählige weitere Keime enthalten. Bei Säuglingen, Kleinkindern, Schwangeren, alten Menschen und Menschen mit geschwächtem Immunsystem können diese Keimbelastungen Lebensmittelinfektionen auslösen.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat kürzlich erneut darauf hingewiesen, dass Rohmilch aus Milchtankstellen trotz besonderer Hygieneauflagen gesundheitsschädliche Mikroorganismen enthalten kann, die Lebensmittelinfektionen mit dem Bakterium Campylobacter auslösen können. Damit der Verbraucher weiß, womit er es zu tun hat, gibt es verbindliche Kennzeichnungspflichten. Landwirte, die Rohmilch direkt "ab Hof" vertreiben, müssen ein gut sichtbares Hinweisschild mit der Aufschrift "Rohmilch, vor dem Verzehr abkochen" aufstellen. Käse, der aus Rohmilch hergestellt ist, muss den Hinweis "aus Rohmilch" auf dem Etikett tragen.
Vorzugsmilch im Supermarkt
Wer frische Milch genießen und auf das Abkochen von Rohmilch verzichten will, findet übrigens mit etwas Glück Vorzugsmilch im Angebot seines Supermarktes: Vorzugsmilch ist eine in Fertigpackungen angebotene Rohmilch, die von besonders kontrollierten Höfen stammt. Im Vergleich zur klassischen Rohmilch, die "ab Hof" verkauft wird, muss sie noch höhere Hygieneauflagen erfüllen. Vorzugsmilch wird außerdem regelmäßig auf möglicherweise enthaltene Krankheitskeime geprüft. Damit sinkt das Risiko, dass sie schädliche Keime enthält.
Über die Autorin dieses Beitrags
Nicole Oschwald ist staatlich geprüfte-Lebensmittelchemikerin und Leiterin der Kundenbetreuung am Freiburger Standort von SGS Institut Fresenius. Das dortige Labor ist Kompetenzzentrum für die Analyse von alkoholhaltigen und alkoholfreien Getränken, Fleisch- und Wurstwaren und Tierarzneimittelrückständen. Eine weitere Spezialität des Standorts ist die Aromaanalyse, die für die Getränke- und Lebensmittelindustrie eine große Rolle spielt. Mehr über die Dienstleistungen der SGS erfahren Sie auf www.sgsgroup.de und www.sgs-institut-fresenius.de.