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Nägelkauen, Haare zupfen: So lassen Sie es endgültig sein

Von Lina Nagel
Aktualisiert am 19. Feb. 2021
Frau beißt an ihren Nägeln herum

Einige Menschen kauen ihre Finger blutig. Andere reißen sich die Haare aus, bis kahle Stellen zu sehen sind. Für Betroffene bedeuten diese Handlungen oft einen leidvollen Kreislauf aus Stress und Scham. Bestimmte Therapieformen versprechen Abhilfe.

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Inhaltsverzeichnis

  1. Warum kauen wir Nägel?
  2. Nägelkauen und die Folgen
  3. Trichotillomanie – zwanghaftes Ausreißen der Haare
  4. Was gegen Haare ausreißen und Nägelkauen hilft
  5. Wissenschaftlich belegt: kognitive Verhaltenstherapie
  6. Wissen zum Mitnehmen

Warum kauen wir Nägel?

Egal, ob im Wartezimmer beim Arzt, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder in der Bibliothek: Überall, wo viele Menschen zusammen sind, lassen sich die immer gleichen Verhaltensweisen beobachten. Da wandert der Fingernagel in den Mund, Nagelhäute werden abgeknibbelt, geistesabwesend Kopf- oder Gesichtshaare ausgezupft.

Das Nägelkauen und das Ausreißen von Kopf- oder Körperhaaren zählen zu den sogenannten Impulskontrollstörungen. Darunter versteht man in der Psychiatrie eine Verhaltensstörung, bei der ein unangenehmer Anspannungszustand durch ein impulsives Verhalten gelöst wird. Dieses impulsive Verhalten ist zwar eine bewusste Handlung – diese lässt sich mit dem eigenen Willen jedoch nur schwer beeinflussen oder verhindern.

Wenn Kinder einen spannenden Film sehen, stecken sie oft ganz unbewusst die Hände in den Mund. Auf diese Weise lenken sie die innere Anspannung auf eine konkrete Tätigkeit um. Von dort aus ist der Weg zum Nägelkauen nicht weit: Fachleute schätzen, dass etwa 30 Prozent der Kinder zwischen sieben und zehn Jahren regelmäßig an den Nägeln kauen. Bei jungen Heranwachsenden liegt die Quote sogar bei 45 Prozent (1).

Als Hauptgrund für das Nägelkauen gelten Stress und Anspannung. Bei Kindern kann dazukommen, dass sie einen Ersatz für das Daumenlutschen suchen. Kinder, deren Eltern an den Nägeln herumknibbeln, werden häufiger selber zu Nägelkauern. Einige Experten vermuten, dass auch erbliche Faktoren eine Rolle spielen könnten. Oftmals beginnt das Nägelkauen jedoch auch aus der Not heraus: Ein Fingernagel bricht ab oder reißt ein. Wenn keine Feile oder Schere zur Hand ist, wird der Nagel kurzerhand „rund“ geknabbert.

MERKE !

Nägelkauen und Haare reißen werden zu den sogenannten Impulskontrollstörungen gezählt. Die Ursache ist häufig Stress und innere Anspannung. Meist beginnen die Verhaltensweisen bereits im Kindesalter. Höchstwahrscheinlich spielen auch erbliche Faktoren eine Rolle.  

Nägelkauen und die Folgen

Wer an seinen Finger knabbert, transportiert jedes Mal ein Heer von Bakterien und Keimen in den Mund. Diese können nicht nur Krankheiten übertragen – man denke zum Beispiel an das aktuell grassierende Noro-Virus – sondern auch Zahninfektionen verursachen.

Auch der Nagel selbst leidet, wird durch das Knabbern dünn und brüchig. Wird er so weit abgebissen, dass das Nagelbett verletzt wird, können schmerzhafte Entzündungen die Folge sein. Denn die gereizte, geschädigte Haut ist eine Eintrittspforte für Bakterien, Viren und Pilze. Im Extremfall wächst der Nagel nicht mehr vernünftig nach.

Hinzu kommt: Abgekaute Nägel sehen ungepflegt aus und können bei anderen Menschen Ekel, zumindest aber abschätzige Blicke hervorrufen. Daher neigen viele Nägelkauer dazu, ihre Hände zu verstecken – was natürlich erst recht auffällt. Noch immer wird Nagelkauen gleichgesetzt mit Willensschwäche oder sogar schlimmeren psychischen Erkrankungen. Obwohl diese Annahme mittlerweile wissenschaftlich widerlegt ist, werden Betroffene noch immer stigmatisiert oder schräg angeschaut. In der Folge steigt der Stresspegel, als Ventil halten die Nägel her – ein quälender Kreislauf.

MERKE !

Nägelkauen ist durch die Zahl der Bakterien und Keime an unseren Fingern sehr unhygienisch. Wird der Nagel dauerhaft geschädigt, wächst er unter Umständen nicht mehr nach.  

Trichotillomanie – zwanghaftes Ausreißen der Haare

„Angefangen hat es in der fünften Klasse. Ich bin eine miserable Schwimmerin und hatte deshalb panische Angst vor dem Schwimmunterricht. Da begann ich mir im Nacken die Haare auszureißen.“ – Gabriella, 15 Jahre alt, beschreibt, wie sie dem gezielten Ausreißen von Haaren anfing.

Trichotillomanie ist der medizinische Name für diese Störung, unter der in Deutschland geschätzt ein Prozent der Bevölkerung leiden. Sie zupfen sich mit den Fingern die Haare aus, nicht nur auf dem Kopf, sondern auch Wimpern, Augenbrauen und Schamhaare. 

Gabriella: „Nur dieses eine Haar, dachte ich immer. Ich suche dann nach einem besonders dicken, schwarzen, unregelmäßigen Haar (...). Ich rupfe es aus und begutachte es dann. Wenn ich nicht das richtige erwischt habe, wird es weggeschmissen. Ist es das richtige, so begutachte ich es, fahre es mit den Fingern entlang und beiße die Wurzel ab.“

Wie im Fall der 15-Jährigen ist der Auslöser von Trichotillomanie oft Stress. Gerade in der Pubertät, wenn viele Jugendliche ohnehin sehr unsicher sind, dient das Haarereißen – wie auch das Nägelkauen – dem Stressabbau.

Die Ausprägung kann dabei ganz unterschiedlich sein: Einige Betroffene haben einen etwas breiteren Scheitel, andere haben runde, kahle Stellen, die durch geschicktes Frisieren gut verdeckt werden können. Doch in einigen Fällen ist der Drang, Haare auszureißen, so stark, dass ganze Partien des Kopfes sowie Augenbrauen und Wimpern kahl werden.

Die Folge: Das Haar wächst teilweise gar nicht mehr oder mit veränderter Struktur nach. 

MERKE !

Unter Trichotillomanie versteht man das zwanghafte Ausreißen einzelner Haare oder ganzer Haarbüschel. Nicht nur Kopfhaare, auch Wimpern, Augenbrauen und sonstige Körperhaare können betroffen sein. In Deutschland leidet geschätzt ein Prozent der Bevölkerung unter dieser Impulskontrollstörung. 

Was gegen Haare ausreißen und Nägelkauen hilft

Mann sitzt im Sprechzimmer eines Arztes

„Reiß dich doch mal zusammen“ – „das kann doch nicht so schwer sein!“ – solche oder ähnliche gut gemeinte Ratschläge hören Menschen, die unter Impulskontrollstörungen leiden, häufig. Leider sind Ermahnungen völlig nutzlos.

„Furchtbar böse“ sei sie auf sich, „wenn ich mich wieder ertappe und für einen Moment zusammenreißen kann“, so die 15-jährige Gabriella, die sich immer wieder Haare vom Kopf reißt. Und doch können sie und andere Betroffene ihr Verhalten in gewissen Situationen nicht kontrollieren, da es nicht bewusst geschieht.

Wissenschaftlich belegt: kognitive Verhaltenstherapie

Anders als noch vor 20 Jahren gehen Psychologen nicht mehr davon aus, dass Impulskontrollstörungen unbedingt schwerwiegende psychische Belastungen oder Traumata zugrunde liegen müssen. In der Therapie wird daher immer mehr beim Verhalten angesetzt.

Eine Spielart ist die kognitive Verhaltenstherapie, bei der Patienten lernen, mit bestimmten Stressfaktoren ihres Alltags umzugehen. Ein Beispiel: Wenn Trichotillomanie häufig dann auftritt, wenn eine Prüfung oder ein wichtiger beruflicher Termin ansteht, gilt es, andere Ventile zur Entspannung zu finden. Die Wirksamkeit dieser Therapieform ist durch diverse Studien belegt, muss jedoch immer individuell an die Bedürfnisse des jeweiligen Betroffenen angepasst werden.

Aus den USA stammt ein verhaltenstherapeutischer Ansatz namens „Habit Reversal Training“. In den 70er Jahren entwickelt, kombiniert das Habit Reversal Training verschiedene Methoden, um eingeschliffene Verhaltensweisen ab- und neue Gewohnheiten im Alltag anzutrainieren. Gleichzeitig wird die Selbstwahrnehmung des Patienten geschärft und ihm werden neue Techniken zur Entspannung an die Hand gegeben.

Auf den Grundsätzen des Habit Reversal Training basiert auch die sogenannte Entkopplungsmethode, die von einer Expertengruppe des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf entwickelt wurde. Dabei werden die zentralen Bewegungen und Ansatzpunkte (Nägel, Haare) aufgegriffen, aber umgelenkt. Ziel soll es sein, dass der Patient statt in die Haare zum Beispiel in den Nacken greift oder die Fingernägel statt zum Mund zum Ohr führt. Praktisch wird ein Verhalten gegen ein anderes ersetzt. Der große Unterschied besteht jedoch darin, dass das neue Verhalten zu keinen Folgeschäden führt. Die Entwickler der Methode weisen jedoch deutlich darauf hin, dass diese keine Psychotherapie ersetzt.

Einen Leitfaden zur Entkopplungsmethode finden Sie hier.

Bei diesen Therapieformen handelt es sich nicht um Leistungen einer Krankenkasse.

Auch der Austausch mit Betroffenen kann – vor allem bei Trichotillomanie – bereits zur Linderung beitragen. Auf der Website www.trichotillomanie.de finden Betroffene Gleichgesinnte und können sich austauschen. 

MERKE !

Neben Maßnahmen wie Bitterlack beim Nagelkauen (hat oft nur zeitweiligen Erfolg) können bestimmte Therapieansätze den Leidenszirkel Betroffener durchbrechen. Dazu gehören die kognitive Verhaltenstherapie, aber auch Ansätze wie das Habit Reversal Training oder die sogenannte Entkoppelungsmethode. Bei diesen Therapieformen handelt es sich nicht um Leistungen einer Krankenkasse.

Wissen zum Mitnehmen

  • Nägelkauen und Haare ausreißen gelten medizinisch als Impulskontrollstörungen. Das heißt, sie können nur begrenzt durch Willenskraft gesteuert werden
  • Nägelkauen kann schlimme Infektionen auslösen, da das Nagelbett geschädigt wird und Bakterien und Keime in den Körper gelangen
  • Nahezu jeder zweite Jugendliche in Deutschland kaut an den Nägeln
  • Auslöser für Impulskontrollstörungen sind häufig Stress und innere Anspannung
  • Das zwanghafte Ausreißen von Haaren wird medizinisch als Trichotillomanie bezeichnet. Deutschlandweit leiden etwa ein Prozent der Bevölkerung darunter. 
  • Therapiert werden Impulskontrollstörungen, indem die automatisierten Verhaltensweisen beobachtet, hinterfragt und aufgelöst beziehungsweise umgeleitet werden. Dazu kommen zum Beispiel eine kognitive Verhaltenstherapie, das Habit Reversal Training und die Entkoppelungsmethode infrage – je nach dem individuellen Leidensdruck der Betroffenen. 
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